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Wirbel um Tanktaler, Telematik und Carsharing

16. Oktober 2017 - Den Versicherern fehlt es an Beweglichkeit – und eventuell auch an Visionen. Jetzt saßen Autoversicherer, Fahrzeughersteller und Mobilitäts- sowie Servicedienstleister an einem Tisch und sondierten die Lage in Sachen Telematik und Autodaten. Wohin die Reise geht, wusste niemand mit Bestimmtheit zu sagen.

Die Deutschen geben monatlich mehr Geld für ihr Auto aus als fürs Essen. Der Wettlauf um die Zukunft zwischen Autoversicherern, Fahrzeugherstellern und Mobilitäts- sowie Service-dienstleister hat längst begonnen.

Über den aktuellen Stand der Dinge diskutierten die Experten aus allen Bereichen während der 3. Jahrestagung „Car Data – Telematik – Mobilität – Connected Car“ des BusinessForum 21 (www.bf21.com) in Köln.

Doch die News zuerst: Der Berliner Digitalversicherer Fri:day (www.friday.de) hat mit dem Online-Verleihportal für Privatfahrzeuge Drivy und den Telematik-Dienstleister Tank Taler zwei Partner gefunden, durch die das Policenangebot des InsurTech im Konzern der Baloise noch mehr Kunden anziehen soll. Außerdem will die Württembergische Versicherung AG (www.wuerttembergische.de) am 25. Oktober 2017 mit einem eigenen Telematikprodukt auf den Markt kommen. Und auch die HDI Versicherung AG kündigt an, 2018 mit einer neuen Telematik-App den Kfz-Versicherungsmarkt umzukrempeln.

Im Fokus standen unter anderem die aktuelle Lage und die Trends in der Kfz-Versicherung sowie der Automobilindustrie, aktuelle Telematik-Projekte in der Assekuranz, innovative Mobilitätskonzepte sowie Big Data / Car Data-Initiativen der Automobilindustrie.

Schnell, mobil optimiert und verbraucherfreundlich – so soll es vor allem bei den Kfz-Policen werden. Der Ist-Stand erfülle hier längst nicht ausreichend die Ansprüche. Die Versicherer hätten vor allem Nachholbedarf in Sachen Kundenservice, sagte Jörg Hipp, Vorstand der Allianz Versicherung. In Bezug auf den Umgang mit Fahrzeugdaten und Mobilität biete der klassische Assekuranzanbieter genügend Angriffsfläche für die neuen Marktteilnehmer und Konkurrenten wie das InsurTech Friday es bereits zeige.

Zum TankTaler (www.tanktaler.de) sei erklärt; dass das Team der ThinxNet GmbH das Produkt TankTaler entwickelte, das in Form eines Fahrzeugsteckers sowie einer flexibel anpassbaren Software kompatibel mit mobilen Endgeräten eingesetzt werden kann. „Als Pioniere vernetzen wir auf diese Weise Automobile jeglicher Art unabhängig von Marke und Modell“, sagt das Team, das sich während der bf21-Jahrestagung auch mit einem eigenen Stand präsentierte. Ihre Mission bestehe darin, dem Nutzer ein zukunftsorientiertes und einfaches Werkzeug an die Hand zu geben.

Durch TankTaler würden Nutzer schon heute über drei Komponenten verfügen: deutlich mehr Informationen hinsichtlich Fahrzeugstatus, zusätzliche Kostenvorteile und schließlich digitale Bezahlsysteme. Diese drei völlig unterschiedlichen Vorteile sind in einer App vereint, die das Start-up Friday jetzt nutzen werde, sagte der Friday-CEO, Christoph Samwer in Köln.

Auch die Versicherer Die Bayerische (www.diebayerische.de) und HDI (www.hdi.de) kooperieren mit TankTaler. Aurofahrer, die eine Police „inklusive TankTaler“ abschließen, können unter anderem den Ladezustand der Auto-Batterie sehen, Fahrten auswerten, Spritpreise vergleichen und mobil an Tankstellen bezahlen. Außerdem sollen die Nutzer des Dienstes ihre Fahrtkilometer künftig per App an Friday senden, wo dann die Prämie kilometergenau berechnet werde, sagte Samwer. Man werde sich auf kilometerbasierte Angebote konzentrieren („pay as you drive“).

Der andere Friday-Partner „Drivy“ (www.drivy.de), die französische Drivy SAS, bietet eine Online-Plattform, über die private Autobesitzer ihre Fahrzeuge vermieten können. Die Allianz kooperiert bereits ebenfalls mit Drivy.

Friday hatte im ersten Quartal 2017 den Geschäftsbetrieb aufgenommen (siehe bocquel-news 2. Februar 2017 Neues InsurTech „Friday“ peilt 1 Millionen Kunden an). Gut angekommen ist nach Christoph Samwers Aussagen, dass die Friday-Kfz-Police monatlich gekündigt werden könne. Monatliche Kündigungsfristen schätzen die Kunden bereits von den Diensten wie Spotify oder Netflix; jetzt wollen sie diese Kurzfristservice auch von den Versicherern. Im August brachte Friday dann einen Tarif für Zusatzfahrer an (siehe bocquel-news 10. Juli 2017 Friday lässt Zusatzfahrer auf Vollkasko abfahren). Christoph Samwer machte deutlich, dass sein Unternehmen an der Zielmarke von 1 Million Kunden festhalte. Der bisherige Erfolg gebe ihm recht; doch: „Wir haben auch die Vision, in andere Sparten zu gehen.“

Als Fazit aller weiteren Vorträge der zweitägigen bf21-Veranstaltung zog sich wie ein roter Faden die Erkenntnis, dass sich die Versicherungen wandeln müssen. Das betonte auch der Friday-CEO und sagte: „In der heutigen Zeit ist es das größte Risiko, keine Risiken einzugehen.“ Ein Umdenken sei angesagt. Die Zeichen der Zeit stehen demnach darauf, nicht für den Desktop zu denken, sondern für das Smartphone.

Das Friday-Engagement begründete Samwer damit, dass das Auto in urbanen Regionen bereits deutlich an Status verloren habe. Im Trend liegen sind Carsharing oder Dienste etwa von Uber. Die eigentliche Herausforderung bestehe – so Samwer, die Schnelligkeit zu realisieren. „Die Kunden unterscheiden nicht zwischen Versicherern und Amazon“, sagte er. Vielmehr wollten sie alles in Echtzeit bekommen.

Schwierige Gemeinsamkeiten sieht Samwer in der Digitalisierung, denn die Digitalisierung mache nicht nur den klassischen Versicherern sondern auch den InsurTechs zu schaffen. Er erinnerte an die großartigen Auftritte der ersten InsurTechs mit ihren „tollen, glitzernden Frontends“. Inzwischen kämpften diese Start-ups längst mit hohen Kosten der Kundenakquise bei geringen Margen. Da sei die Ausgangsposition der etablierten Versicherer besser, denn sie sind laut Samwer in ihrem Kerngeschäft sehr profitabel und verfügen über eine breite Kundenbasis. – Die Crux bei den Etablierten: Das Management muss sich in die neuen Zeiten finden und verstehen, zudem Visionen zulassen und die Änderungen angehen. Noch sei es jedoch hier um die digitale Kompetenzen mager bestellt. „Da möchte ich nicht in Ihren Schuhen stecken“, sagte der Friday-Chef zu den anwesenden Versicherern. Man sei noch weit davon entfernt, neue Erkenntnisse aus einem Daten-See zu schöpfen.

„Eigentlich versichern wir keine Fahrzeuge, sondern Parkzeuge“
Für Allianz-Vorstandsmitglied Jörg Hipp ist klar, dass der drastische Wandel in Richtung Mobilität programmiert sei. „Die Treiber sind massiv“, sagte er. „Die Menschen geben dafür mehr Geld aus als für ihr Essen.“ Es tue sich aber inzwischen ein weiteres Problem auf, denn der Großteil der Privatfahrzeuge stünden wenig genutzt in der Garage: „Eigentlich versichern wir keine Fahrzeuge, sondern Parkzeuge“, betonte Hipp. Ein Hinweis dazu: In Westeuropa gebe es inzwischen 300 Millionen öffentliche Parkplätze. Aber das sei nicht das eigentliche Problem, sondern die vielen Autos auf den Straßen im Stau. Hunderte von Kilometern Stau – auf den Autobahnen und auf den Zufahrtstraßen in den Städten zur Rushhour. Dadurch entstehe jährlich ein volkswirtschaftlicher Schaden von 25 Milliarden Euro, wusste Hipp.

Jetzt sei es an der Zeit, dass aus Autobesitzern Nutzer von Mobilitätsservices werden. Dabei würden dann auch Carsharing und andere Fahrdienste weiter an Bedeutung gewinnen. Welche Rolle die Versicherer im Ökosystem Mobility übernehmen könnten, sei noch unklar. Jörg Hipp sprach in diesem Zusammenhang von der sich ändernden Rolle der Versicherer weg vom Risikoträger hin zum Serviceprovider.

Schließlich sei es jetzt außerdem an der Zeit größer zu denken. Die Versicherer müssten aufhören in Sparten einzuteilen. Dafür habe der Kunde wenig Verständnis. Jetzt gehe es darum, mehr Kundennutzen zu erzeugen. Laut Jörg Hipp werden die Versicherer jetzt nicht mehr die Speerspitze der Bewegung sein können. Der Weg zu Kooperationen müsse stärker geebnet werden, so dass in neuen Partnerschaften neue Angebote entwickelt werden könnten. Hipp legte den Finger in die Wunde: „Solange wir keinen optimalen Kundenservice bieten, sind wir angreifbar.“ Applaus bekam er für seinen Ausspruch: „In jeder Garage sitzt ein Samwer, der überlegt, wie er uns die Butter vom Brot nehmen kann.“

Die Daten gehören dem Kunden
Immer wieder ging es um Daten – und natürlich auch die ewige Frage „wem gehören die Daten“, die durch Apps und andere Mobility-Einrichtungen in den Autos erzeugt werden. Die zahlreichen Teilnehmer der Tagung waren sich hier ausnahmsweise sehr einig: Die Daten gehören dem Kunden – sprich Autobesitzer. Ein Schmerzpunkt für alle sei der Datenaustausch (via Schnittstelle) zwischen InsurTechs und den etablierten Versicherern. Diese Erkenntnis hätten die FinTechs mit den Banken bereits gemacht.

Marc Oliver Matthias, Leiter des Innovation Labs bei der R+V Versicherung (www.ruv.de) wurde nach dem Stand der Dinge eines Telematik-Tarifs bei der R+V gefragt. „Ich bin nicht hierhergekommen, um mich zu verteidigen, sondern vom Geschäftsausbau zu berichten“, sagte der Versicherungsmanager. Die R+V, einer der großen Kfz-Versicherer in Deutschland, hatte bereits 2013 einen eigenen Telematik-Tarif entwickelt, aber dann doch nicht auf den Markt gebracht. Natürlich wolle man auch neue datenbasierte Produkte anbieten. „Doch wir haben dazu noch kein Killer-Feature gefunden“, sagte Matthias. Bei der R+V habe man die Mitbewerber genau im Blick: „Solange wir aber der Meinung sind, dass unser Telematik-Produkt nicht gut genug ist, halten wir es unter der Decke.“

„Nach den düsteren Szenarien, die hier für die Assekuranz gezeichnet wurden, möchte ich Optimistischeres berichten“, sagte Vincenzo Reina. Als Country Head of Strategy &Smart Insurance Transformation bei der Generali Deutschland AG (www.generali.de) empfinden er die wachsende Anzahl von Start-ups im Bereich InsurTech als Belebung im Markt und einen gesunden Wettbewerb. Der Italiener Reina war zuvor lange Jahre beim Generali Mutterkonzern in Italien tätig und hatte dort bei einem Direktversicherer den ersten Telematik-Tarif Italiens mit der Kennung „Pay as you drive“ erfolgreich eingeführt. Jetzt sehe er auch im deutschen Markt die Oportunitäten dafür. Sie gelte es zu nutzen.

Bei der Generali, die für sich in Anspruch nimmt, die Versicherungswelt mit Lösungen in Richtung Simple & Smart neu z erfinden, will man weg von der massive Diskontinuität. Reina: Die Generali gestalte die strategische Ausrichtung von den Produkten hin zum Service – nach dem Motto „Simplere und smartere Versicherungslösungen für unsere Kunden“.

Versicherungen müssen einfach sein, betonte Reina. Er zeigte die strategische Entwicklung der Generali seit 2015 auf. Durch das „Internet of Things“ habe der Versicherer das Leben seiner Kunden mit Lösungen echter Prävention und Vorsorge verbessert. Vor zwei Jahren hat die Generali Deutschland – so berichtete Vincenzo Reina – die Smart Insurance Transformation gestartet. Das sei aber erst der Anfang.

Die Generali Group versteht sich europaweit als einer der führenden Anbieter von Telematiklösungen. Im Herbst 2016 kam „MyDrive“ hierzulande auf den Markt (siehe bocquel-news 29. September 2016 Telematik nur mit einer App und ohne Einbau im Auto). Die gesamte Generali Group hat bereits mehr als 1 Million Telematik-Policen in Europa verkauft. Aber nicht nur auf Auto fixiert nutze die Generali mit „Generali Domocity“ die Chance der Digitalisierung, um Kunden zu motivieren ihr Zuhause zu schützen – und sich insgesamt sicherer zu fühlen.

Während der gesamten bf21-Jahrestagung dreht sich alles vermeintlich um Autos, Car Data, Telematik-Tarife, Carsharing und Connected Cars. Doch wer genau zu hörte merkte sehr schnell, dass nicht der fahrbare Untersatz die Hauptrolle spielte. „Das Auto ist nur ein Ding“, sagte Ingo Blöink, der den ersten Veranstaltungstag moerierte. Der CEO des Future Mobility Instituts, der früher European Head bei den Daimler Insurance Sevices war, ließ sich am zweiten Tag als Referent über das Thema „Potential zur Revolution bei den Kfz-Tarifen – oder nur ein müdes Aktuarslächeln“ aus. Sehr schnell resümierte er „Das Auto ist nur ein ‚Ding‘. Noch interessanter wird es, wenn die Dinge verknüpft werden. Im Zentrum steht das Smartphone!“ Und in der Tat war in allen Vorträgen das Handy Dreh- und Angelpunkt aller Entwicklungen und Innovationen. (-el / Fotos E. Bocquel / www.bocquel-news.de)

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