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Konzepte und Kriterien

„Solvency II braucht eine regulatorische Atempause“

9. November 2017 - Seit Einführung des neuen Aufsichtsregimes sind nicht einmal zwei Jahre vergangen. Jetzt steht möglicher Weise eine Überarbeitung des Aufsichtssystems Solvency II an. Dagegen wehrten sich GDV und deutsche Politiker gestern heftig bei der internationalen Konferenz zur Versicherungsaufsicht in Berlin.

Erst seit 2016 gilt für Versicherer ein neues Regelwerk. Die europäische Aufsicht plant aber bereits wieder gravierende Änderungen. GDV-Präsident Wolfgang Weiler kritisierte dieses Vorhaben auf der 14. Internationalen Konferenz zur Versicherungsaufsicht und forderte zugleich Änderungen bei der Zinszusatzreserve (ZZR). Die deutsche Politik signalisierte Gesprächsbereitschaft bei dem Thema, teilt GDV-Berichterstatter Karsten Röbisch mit.

Die Assekuranz dringt bei einer möglichen Überarbeitung des Aufsichtssystems Solvency II auf mehr Zeit. „Lass doch die Regeln erst einmal wirken, bevor die nächste Änderung draufgesattelt wird“, mahnte Wolfgang Weiler, der neue Präsident des GDV Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (www.gdv.de) am Mittwoch in Berlin. Er forderte einen „Boxenstopp in der Regulierungsmaschinerie“.

Mit seinem Appell bezog sich Weiler auf Pläne der europäischen Versicherungsaufsicht Eiopa (www.eiopa.europa.eu), den sogenannten Langfristzins (Ultimate Forward Rate, UFR) zu ändern. Die UFR ist eines von mehreren Instrumenten unter Solvency II, die Unternehmen für die Bewertung ihrer sehr langfristigen Verpflichtungen nutzen. Zum Start von Solvency II wurde 2016 der Langfristzins auf 4,2 Prozent festgelegt. Die Eiopa plant nun, die UFR-Rate ab nächstem Jahr auf 4,05 Prozent abzusenken.

Absenkung des Langfristzinses würde höhere Rückstellungen bedeuten
Dieses Vorhaben würde die Unternehmen zwingen, höhere Rückstellungen zu bilden – mit entsprechenden Folgen für ihre Solvenz-Quoten. Sie befürchten zugleich größere Schwankungen bei der Bewertung ihrer Verbindlichkeiten. GDV-Präsident Weiler bezeichnete das Vorhaben der europäischen Aufseher als „unkoordiniert und unausgereift“. Seine Forderung:„Solvency II braucht eine regulatorische Atempause, aber keine neue Regeln.“

Das Ansinnen der Eiopa stößt nicht nur bei den Unternehmen auf Kritik, sondern auch in der Politik. „Der Ruf nach einer Änderung kommt nach zwei Jahren zu früh“, sagte Burkhard Balz (CDU), Mitglied des Europäischen Parlaments und dort im Ausschuss für Wirtschaft und Währung aktiv. In Solvency II sei ein Zeitraum von sieben Jahren verankert worden, um die Wirkung der Maßnahmen zur Bewertung langfristiger Garantien zu überprüfen. „Der Gesetzgeber will erst evaluieren und dann revidieren“, betonte Balz. Dieser Grundsatz gelte noch immer.

Deutsche Aufseher sehen Pläne ihrer europäischen Kollegen kritisch
Die Eiopa habe keinen Freibrief, sondern müsse sich der Kontrolle des Gesetzgebers stellen. Balz hält es für nötig, die Kompetenzen der Behörde neu zu definieren. Dafür sei die geplante Revision der gesamten europäischen Aufsichtsstruktur ein guter Anlass. „Es muss besser geregelt werden, ob, wann und wie Leitlinien erlassen werden“, sagte der EU-Parlamentarier.

Auch die deutsche Versicherungsaufsicht BaFin hält eine Absenkung des Langfristzinses zum jetzigen Zeitpunkt für falsch. „Wir sollten sehr vorsichtig sein mit Änderungen“, mahnte Frank Grund, BaFin-Exekutivdirektor für Versicherungen (www.bafin.de). Man brauche die vorgegebenen sieben Jahre, um die Wirkung aller Maßnahmen zur Bewertung langfristiger Garantien zu überprüfen. Dabei gehe es nicht nur um die Folgen für die Kapital-Quoten der Versicherer, sondern auch ihre Anlagepolitik, das Produktangebot und damit die Belange der Verbraucher, so Grund.

GDV fordert Änderungen bei Zinszusatzreserve
Von großer Relevanz für die Assekuranz sind derweil auch die steigenden Belastungen durch die Zinszusatzreserve (ZZR). Seit 2001 müssen die Lebensversicherer diesen Puffer aufbauen (siehe nebenstehende GDV-Grafik - zum Vergrößern bitte anklicken). Damit will der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Unternehmen ihre in der Vergangenheit zugesagten Leistungen auch in einer lang andauernden Niedrigzinsphase erfüllen können. „Die Bildung der ZZR war richtig. Aber heute erreicht sie Dimensionen, die ihrerseits neue Probleme schafft“, betonte GDV-Präsident Weiler.

Denn um das Geld aufzubringen, müssen die Anbieter zunehmend stille Reserven auflösen und ihre langfristigen Kapitalanlagen vorzeitig verkaufen – was ihre Ertragskraft in Zukunft schmälert. Bis Ende 2016 hatten die Lebensversicherer rund 44 Milliarden Euro als Zinszusatzreserve gebildet. Nach Schätzung des GDV kommen allein in diesem Jahr 16 Milliarden Euro neu dazu, weitere jeweils 20 Milliarden Euro in den Jahren 2018 und 2019 – sofern es keine Änderungen gibt. Weiler hält dieses Tempo für zu hoch und fordert eine Entlastung: „Wir wünschen uns sehr, dass die Bundesregierung notwendige Anpassungen vornimmt und zügig eine neue Methode zum Aufbau der Zinszusatzreserve entwickelt.“

Auch Politiker offen für Änderung
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Anja Karliczek zeigte sich offen für eine Änderung der Berechnungsmethode. „Wenn wir wieder arbeitsfähig sind, ist das eines der ersten Themen, die wir anpacken werden“, sagte das Mitglied im Finanzausschuss.

Auch Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick sprach sich für Änderungen bei der ZZR aus. „Dass die Marktsituation heute eine andere ist als bei Einführung der Zinszusatzreserve, ist unstrittig“, so Schick. Auf Zuruf wolle er darüber jedoch nicht entscheiden, sondern sich erst die Fakten genau anschauen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. (www.bocquel-news.de)

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