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Konzepte und Kriterien

Wirecard: Versicherer muss Deckungszusage geben

26. April 2022 - Die Wirecard-Pleite hat tausende Kleinanleger um ihr Geld gebracht. Sie ziehen vor Gericht, um von ihre Anlagen zu retten, was noch zu retten ist. Ein Rechtsschutzversicherer hierzulande wollte einem der Kläger keine Deckungszusage erteilen und berief sich auf mangelnde Erfolgsaussichten. Das sieht das OLG Karlsruhe anders.

Die ehemaligen Vorstände der Wirecard AG (www.wirecard.de), Jan Marsalek und Markus Braun haben das Geld tausender deutscher Kleinanleger „in den Sand gesetzt“. Diese versuchen jedoch auf dem Gerichtsweg wenigsten etwas von ihren früheren Geldeinlagen bei Wirecard zurückzubekommen.

Doch soweit war es anfangs noch nicht, denn der Rechtsschutzversicherer des Klägers wollte ihm keine Deckungszusage geben. Allerdings sahen es die Richter des Oberlandesgerichts Karlsruhe anders (Az: 12 U 285/21, Urteil vom 7. April 2022). 

Die Insolvenz des Dax-notierten Zahlungsabwicklers Wirecard hatte viele kalt erwischt. Durch die Pleite des Münchener Unternehmens verloren Anleger den Großteil ihres investierten Vermögens. Sie versuchen seitdem, ihr Geld auf dem Klageweg einzufordern. Von den Wirecard-Vorständen Jan Marsalek und Markus Braun war offensichtlich nichts mehr zu holen (bocquel-news 13. Juli 2021 Gläubiger und Aktionäre fordern über 12 Mrd. Euro). Als weitere Schuldige sahen die Kläger unter anderem auch die deutsche Finanzaufsicht BaFin, die Wirtschaftsprüfern von EY oder sogar noch verbliebene einstige Manager von Wirecard an.

Die Klagen gegen die BaFin wurden zuletzt zurückgewiesen. Gab es jetzt noch eine Chance, dass ausfallen, dass EY (Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft) oder das ehemalige Wirecard-Management Schadensersatz leisten müsste oder könnte. Eine Rechtsschutzversicherung wollte keine Deckungszusage für die Klage eines ehemaligen Wirecard-Anlegers gewähren – zu geringe Erfolgsaussichten, so die Begründung des Versicherers. Der Fall landete vor dem OLG Karlsruhe (https://oberlandesgericht-karlsruhe.justiz-bw.de/).

Doch dem vorausgegangen war bereits wahrhaft eine Odysee, denn am 12. Mai 2020 - knapp einen Monat vor dem die Wirecard-Insolvenz nicht mehr auszuhalten war, hatte ein Anleger noch 100 Wirecard-Aktie im Wert von 8.724,90 Euro erworben. Im Juni 2020 verschob Wirecard nochmals die pflichtgemäße Veröffentlichung seiner Bilanz, da auf einmal 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz fehlten. Der Aktienkurs rutschte daraufhin in den Keller, wenige Tage später meldete das Unternehmen Insolvenz an.

Im Juli 2020 stellte der betroffene Anleger einen Antrag auf Deckungszusage bei seiner Rechtsschutzversicherung – er wollte auf Schadenersatz gegen die ehemaligen Wirecard-Vorstände Markus Braun und Jan Marsalek sowie die Wirtschaftsprüfer von EY klagen.

Der Rechtsschutzversicherer lehnte jedoch ab, weil für die Klage unter anderem keine Erfolgsaussichten bestanden. Zudem bestehe Mutwilligkeit, denn der Kostenaufwand stehe folglich unter Berücksichtigung der Belange der Versichertengemeinschaft in einem groben Missverhältnis zum angestrebten Erfolg; schließlich reiche das Vermögen der angeklagten Vorstände nicht aus, um die Ansprüche aller Anleger zu befriedigen.

Das ließ der geprellte Wirecard-Anleger nicht auf sich beruhen, sondern zog jetzt dagegen vor Gericht. Er gewann! So bekam er jetzt nicht nur vor dem Landgericht Mannheim Recht, sondern auch das OLG Karlsruhe sah den Rechtsschutzversicherer in der Leistungspflicht.

Das Karlsruher Oberlandesgericht stellte klar, dass der Rechtsschutzversicherer keine überspannten Anforderungen auf die Erfolgsaussichten stellen dürfe. „Die Erfolgsaussicht ist schon dann erfüllt, wenn der von einem Kläger vertretene Rechtsstandpunkt aufgrund seiner Sachdarstellung und der  vorhandenen Unterlagen zutreffend oder zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht.“

So hält das OLG unter anderem die Einschätzung des Klägers, dass für die Wirtschaftsprüfer von EY eine Haftung gemäß Paragraph 826 BGB wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung von Kapitalanlegern in Betracht komme, vertretbar. Den EY-Wirtschaftsprüfern wird unter anderem vorgeworfen, dass sie bei sogenannten Treuhandkonten für Drittpartner-Geschäfte keine Originalbelege anforderten. Auf diesen sollen bekanntlich 1,9 Milliarden Euro gelegen haben – später stellte sich heraus, dass es dieses Geld niemals gegeben hatte.

Das OLG Karlsruhe sah übrigens auch hinreichende Erfolgsaussicht bei den Klagen gegen die einstigen Vorstände Braun und Marsalek. So komme hier eine Haftung nach Paragraph § 826 BGB in Betracht, wenn diese beispielsweise durch bewusst unrichtige Ad-hoc-Mitteilungen eine positive Anlagestimmung erzeugt und damit Anleger zum Kauf von Aktien animiert haben.

Die Richter sahen auch keinen Grund, die Erfolgsaussicht zu verneinen, weil der Jan Marsalek mittlerweile untergetaucht war und sein Aufenthaltsort noch nicht geklärt war. Gerüchten zufolge soll sich Marsalek derzeit in Russland aufhalten. Dieses Problem lasse sich mit einer öffentlichen Zustellung der Klage nach Paragraph §185 der Zivilprozessordnung überwinden, so das Gericht.

Die Karlsruher Richter widersprachen auch der Ansicht des Versicherers, dass die Klage des Mannes mutwillig sei – also dass das Vermögen der Beschuldigten nicht dafür ausreiche, die Ansprüche aller Anleger zu befriedigen. Dies habe der Rechtsschutzversicherer nicht ausreichend belegt. So sei zum Zeitpunkt der Deckungsklage unklar gewesen, über welche Vermögenswerte Braun und Marsalek tatsächlich verfügen.

Folglich muss der Rechtsschutzversicherer für die Klage des geschädigten Wirecard-Anlegers eine Deckungszusage geben, befand das Karlsruher Oberlandesgericht. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu. (-el / www.bocquel-news.de)

 

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