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Konzepte und Kriterien

Was hat Nachhaltigkeit mit Solvency II zu tun?

17. März 2011 - „Solvency II stellt eine Revolution des bestehenden europäischen Aufsichtsregimes dar", sagte der Munich-Re-Chef von Bomhard während der Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft e.V., die am Donnerstag in Berlin zu Ende ging.

Nikolaus von Bomhard Der „Nachhaltigkeit als Kernelement von Versicherung" widmeten sich Rück- und Erst-Versicherer, Wissenschaftler, Vertriebs-Spezialisten und Aktuare in der heute zu Ende gehenden Jahrestagung des DVFVW Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft e.V. (www.dvfvw.de) in Berlin.

Natürlich blieben auch die verheerenden Katastrophen in Japan auch hier nicht außen vor. Nikolaus von Bomhard (Foto), Chef der Munich Re (www.munichre.com), die weltweit Marktführer unter den Rückversicherern ist, machte erneut deutlich, dass es noch dauere bis man konkrete Zahlen über das Schadenausmaß in Japan nennen könne. Derzeit bewegen sich die Annahmen schon mindestens im zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich. Von Bomhard wies aber auch darauf hin, dass bis jetzt niemand der Erkenntnis widerspreche, dass durch den Monster-Hurrikan Katrina im August 2005 an der Golfküste in den USA und Mexikos der größte Schaden aller Zeiten entstanden war. „Das Risiko des Hurrikans Katrina hat alle Dimensionen an Schäden gesprengt. Bei Japan zeichnet sich das noch nicht ab."

Alles dreht sich um Nachhaltingkeit
Als eines der hervorherrschenden Themen der sehr zahlreich erschienenen DVFVW-Mitglieder und Gästen war dann die Nachhaltigkeit. Nikolaus von Bomhard sprach dazu aus Sicht der Versicherungswirtschaft. Eingangs griff er Argumente zur aktuellen Diskussion um die Einführung der künftigen Solvenzkriterien bei der Eigenkapitalausstattung der Versicherer auf, die seit Jahren auf EU-Ebene als „Solvency II" geplant, verworfen, nachgebessert entwickelt werden. „Solvency II im Sinne der ursprünglichen Zielsetzung einer ganzheitlichen und risikobasierten Aufsicht ist begrüßenswert; wesentliche Aspekte sind jedoch noch klärungsbedürftig", sagte der Munich-Re-Chef.

Der Bogen von der Nachhaltigkeit zu ökonomischen Steuerungsansatz falle nicht schwer. Solvency II verfolge diesen Steuerungsansatz, der sich auf die ganzheitliche Erfassung und ökonomische Bewertung aller Risiken beziehe. Dies werde eine diszipliniertere Unternehmenssteuerung im Sinne der Kundeninteressen zur Folge haben. Die aktuellen Entwürfe der zukünftigen Berichtspflichten in Bezug auf Umfang und Detaillierungsgrad seien allerdings übertrieben. „Gleichwohl unterstützen wir das Ziel von Solvency II, eine höhere Markttransparenz zu erreichen", sagte von Bomhard.

Marktkonsistente Bewertung und Rechnungslegung
Der Rückversicherer erläuterte, dass das Solvenzkapital unter Solvency II auf Basis der Schwankung der ökonomischen Eigenmittel einer auf marktkonsistenter Basis erstellten Solvenzbilanz bestimmt werde. Dies werde zur Folge haben, dass die Solvenz-Quote - also das Verhältnis von ökonomischen Eigenmitteln zum Risikokapital - sich im Gegensatz zu Solvency I nicht mehr durch eine aggressivere Kapitalanlage-Strategie erhöhen lasse. Unter Solvency II müsse Geschäft mit einem suboptimalen Rendite-Risiko-Profil mit vergleichsweise viel Risikokapital unterlegt werden. Damit schaffe Solvency II Anreize, das Unternehmen stabiler und so zukunftssicherer aufzustellen.

Versicherungs-Produkte im Wettbewerb mit Banken
Von Bomhard gab zu bedenken, dass die Versicherungswirtschaft mit einigen ihrer Produkte im Wettbewerb mit Banken und der Fondsindustrie stehe. „In diesem Kontext werbe ich nachdrücklich für faire Wettbewerbsbedingungen. Jene Branchen, die im Vergleich zu Versicherern weniger streng reguliert werden, werden Kostenvorteile und damit Wettbewerbsvorteile auf Kosten der Verbrauchersicherheit erlangen." Dadurch würde der mit Solvency II beabsichtigte Verbraucherschutz jedoch konterkariert, wenn Kunden vermeintlich attraktivere, aber weniger sichere Produkte wählen.

Sinnhaftigkeit der Modelle
Modelle können stets nur eine grobe Vereinfachung der Realität darstellen, sagte der Assekuranz-Top-Manager. Die Risiko-Profile der individuellen Unternehmen würden sich unterscheiden. Das Standard-Modell könne nicht für alle Unternehmen die Höhe der Eigenmittel gemäß der Zielkalibrierung repräsentieren. „Damit also die Solvenzpositionen aller europäischen Versicherer vergleichbar sein können, muss Solvency II gerade die Verwendung interner Modelle einfordern", machte von Bomhard deutlich.

Bei den aktuell entwickelten Ausgestaltungen von Solvency II müsse daher darauf geachtet werden, dass die Hürden für die Verwendung eines internen Modells angemessen gesetzt werden. Angesichts der immer knapper werdenden Zeit bis zur Einführung von Solvency II (voraussichtlich am 1. Januar 2013) sieht von Bomhard dringenden Klärungsbedarf hinsichtlich der inhaltlichen und prozessualen Anforderungen für die Zertifizierung von internen Modellen.

Immense Bedeutung der Modelle
„Fördert Solvency II angesichts der immensen Bedeutung von Modellen nicht die Gefahr einer Modellgläubigkeit?" fragte von Bomhard.Das so genannte "Own Risk and Solvency Assessment" (ORSA) bildet seinen Angaben zufolge einen wesentlichen Bestandteil der zweiten Säule von Solvency II, dem qualitativen Risiko-Management. Darüber hinaus fordere ORSA zusätzlich zu Säule 1 eine in die Zukunft gerichtete Solvenzbetrachtung ein, die dazu beitragen könne, zukünftige Solvenz-Engpässe unter Stress-Situationen frühzeitig zu erkennen. ORSA sei damit ein elementarer Bestandteil einer notwendigen Risikokultur in jedem Unternehmen, zumal wenn die Übernahme von Risiken der Geschäftszweck sei. „Ich begrüße ausdrücklich, dass Solvency II genau dies einfordern wird. Solvency II fördert also nicht die Gefahr einer Modell-Gläubigkeit, sondern wirkt ihr im Gegenteil sogar entgegen."

Umgang mit Volatilität und Prozyklizität
Zuletzt sei immer häufiger der Vorwurf laut geworden, dass der Entwurf von Solvency II zu übertriebener Volatilität der Solvenz-Quoten führe und ausgeprägte prozyklische Aspekte auf weise. Aber - so von Bomhard - Solvency II wird entworfen, um die Risikosituation von Versicherungsunternehmen marktkonsistent zu messen und abzubilden. Einige Versicherungsprodukte seien stärker als andere abhängig von Kapitalmarkt-Entwicklungen, beispielsweise die deutsche Kapital-Lebensversicherung mit ihrem Garantiezins. Es würde sich also um ein Produkt-Design handeln, das man aus Risikosicht prozyklisch nennen könnte. „Solvency II wird dies bei sachgerechter Umsetzung der Rahmenrichtlinie gewährleisten, weil risikosteigernde Produkte mit mehr Kapital unterlegt werden müssen" so der Munich-Re-Chef. Solvency II könne also die europäische Versicherungswirtschaft dabei unterstützen, Verbesserungsmöglichkeiten im Rendite-Risiko-Profil ihrer Produkte zu identifizieren.

Aufsichtsregime muss Kernelement des Geschäftsmodells einfordern
Natürlich dürften erratische Marktbewegungen nicht dazu führen, dass die Solvenz-Quote innerhalb kurzer Zeit enormen Schwankungen unterliegt. Daher würden voraussichtlich bei den Kapitalanforderungen, das heißt in der Säule 1, volatilitätsdämpfende Mechanismen berücksichtigt. Daneben sehe Solvency II auch Regeln in Säule 2 vor, wie die Regulatoren im Falle von Kapitalmarkt-Verwerfungen auf die sich ändernden Kapital-Anforderungen reagieren müssen. In der Ausgestaltung über die Durchführungs-Bestimmungen müsse bei jedem Thema individuell abgewogen werden, wie die optimale Balance zwischen Marktkonsistenz und Dämpfung erratischer Marktbewegungen erreicht werden könne. Von Bomhard: „All dies darf aber nicht davon ablenken, dass es stets in der Verantwortung jedes einzelnen Unternehmens liegt, das eigene Risiko bewusst zu steuern und zu managen. Diese Kontrolle der eigenen Risikoposition ist nicht eine bloße Option, sondern das Kernelement unseres Geschäftsmodells. Es ist längst überfällig, dass ein Aufsichtsregime dies einfordert."

Revolution des bestehenden europäischen Aufsichtsregimes
„Solvency II stellt eine Revolution des bestehenden europäischen Aufsichtsregimes dar", sagte von Bomhard. Er fasste zusammen, dass Solvency II eine deutlich größere Bedeutung zukommen müsse als Solvency I. Es werde auch materielle Auswirkungen auf die Unternehmenssteuerung haben. Wenn Solvency II nach dem Geist der Rahmenrichtlinie umgesetzt werde, könne es die richtigen Anreize für ein nachhaltiges Wirtschaften setzen.

„Dank des umfassenden Ansatzes wird es in Europa erstmals eine ganzheitliche und risikobasierte Aufsicht für einen Wirtschaftszweig geben, der eine vollumfänglich marktkonsistente Bewertung von Eigenmitteln und Risiken zugrunde liegt", sagte Nikolaus von Bomhard. Damit werde eine Nachhaltigkeit fördernde Risikokultur in der Unternehmenssteuerung eingefordert, die durch die Veröffentlichungspflichten die Marktdisziplin erhöhen werde. „Dies fördert langfristig die Stabilität der gesamten europäischen Versicherungswirtschaft", ist sich von Bomhard sicher.

Versicherer sind nicht systemisch relevant
Kurzfristig werde besonders der knappe Zeitraum zur Umsetzung der neuen Anforderungen die Unternehmen vor Herausforderungen stellen. In den kommenden Monaten würden noch wesentliche Fortschritte erforderlich, damit Solvency II entsprechend dem ursprünglichen Geist der Rahmenrichtlinie umgesetzt werden kann. Von Bomhard: „Wenn dies geschehen ist, wird Solvency II einen Beitrag zu einer noch nachhaltiger wirtschaftenden Assekuranz in Europa leisten. Wenn unser Wirtschaftszweig dann über ein state-of-the-art Aufsichtsregime verfügt, dann sind zusätzliche Anforderungen zur Stärkung der Kapitalbasis nicht nur nicht erforderlich, sie wären eine Bestrafung unseres nachhaltigen Geschäftsmodells, denn Versicherer sind nicht systemisch relevant."

Klaus Johann Henrich Klaus Johann Henrich (Foto), im Geschäftsalttag einer der führenden Manager des Rückversicherers Partner Re (www.partnerre.com) und beim Deutschen Verein für Versicherungswissenschaft im Präsidium, fasste nach ausführlichen Diskussionsbeiträgen zusammen, dass

  • Nachhaltigkeit das Kernelement schlechthin in der Versicherungswirtschaft sei;
  • der Begriff Nachhaltigkeit in genauer Begriffs-Definition die Bewirtschaftung von regenerativen Gütern und Systemen bedeute;
  • der Definition nach auch langfristiges Denken und Planen bedeute, wobei sich die Frage stelle, ob die Assekuranz dazu eine Regulierung benötigt. Es herrsche über Solvency II hinaus Forschungsbedarf;
  • wenn man es unter dem Aspekt „Public Goods" betrachte, schaffe die Regulierung eine Vereinheitlichung; ob „Nachhaltigkeit" als Grundelement in der deutschen Verfassung verankert werden müsse, werde weiter hinterfragt. Es handele sich hier um ein oberstes Recht, das auf Dauer existiere. Es sei jedoch nicht zwingend nötig, dies als Recht in die Verfassung einzubringen.
  • Ob Nachhaltigkeit in Bezug auf Systemrelevanz existieren müsse, könne nicht klar beantwortet werden. In der Krise hätten auch kleinre Banken großen Schaden erlitten. In der freien Marktwirtschaft werden die Unternehmen in Krisenzeiten abgestraft.

Systemrelevanz bedeute eine Verkürzung der Diskussion, die bei der aktuellen DVFVW-Jahrestagung kompetent hinterfragt wurde. (eb-db / www.bocquel-news.de)

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