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Viele Unterstützer für die Rürup-Idee zur Rente

26. Februar 2020 - Rentenreform: Geplant sind Rentenerhöhungen zum 1. Juli 2020 - für Westdeutschland eventuell mit einer Steigerung um 3,15 Prozent und in Ostdeutschland um 3,92 Prozent. Doch Genaues wird erst im März entschieden. Rentenexperte Professor Bert Rürup sagt im Exklusiv-Interview mit den bocquel-news, was er erwartet.

Herr Professor Rürup, im März soll die von der Bundesregierung beauftragte Expertenkommission Ideen für eine Rentenreform vorlegen. Welches Ergebnis erwarten Sie? Welche Richtung ist wahrscheinlicher: länger arbeiten, höhere Beiträge, mehr Steuerfinanzierung oder weniger Rente?

Bert Rürup: Da ich nicht weiß, was in diesem Gremium an möglichen Optionen diskutiert wurde, maße ich mir keine konkrete Voraussage an. Lassen wir uns von dem Kompromiss oder den angebotenen Alternativen überraschen.

Wie nachhaltig glauben Sie wird die nächste Reform sein?

Bert Rürup: Ich gehe davon aus, dass auch diese Rentenreform nicht die letzte in diesem Jahrzehnt gewesen sein wird. Seit die gesetzliche Rentenversicherung 1957 eingeführt wurde, wird sie ständig reformiert. So gab es zahllose Gesetzesänderungen und über 20 große Reformen, von denen nicht wenige als Jahrhundertreformen gepriesen wurden. Fakt ist, keine dieser Reformen hatte eine Halbwertzeit von mehr als zwei Legislaturperioden. Und das war und ist richtig und gut so. Denn Rentenpolitik in einer Demokratie besteht vorrangig in einem Nachsteuern entsprechend sich ändernder sozioökonomischer Rahmenbedingungen als auch veränderter Gerechtigkeitsvorstellungen, die natürlich nicht zuletzt von der Altersstruktur der Wähler bestimmt werden.

Sie haben kürzlich in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung vorgeschlagen, die Basis der gesetzlichen Rentenversicherung zu verbreitern, um sie zu stabilisieren. Dazu packen Sie sogar das heiße Eisen der Eingliederung der Beamtenschaft an. Den Anfang sollen Lehrer und Professoren machen. Markiert dies den Einstieg in einen Verzicht auf das Zweiklassensystem von Pensionären und Rentnern?

Bert Rürup: Bei der Ausweitung des Versichertenkreises der gesetzlichen Rentenversicherung, um die jüngeren Inhaber*innen einer Beamtenstelle und vor allem die potenziellen Bewerber auf eine solche Stelle, geht es nicht um einen Beitrag zur langfristigen Stabilisierung der Rentenversicherung. Kurzfristig hätte man zwar mehr Beiträge, aber um den Preis langfristig merklich höherer Ausgaben. Denn versicherungstechnisch stellen Beamte „schlechte Risiken“ dar, weil ihre Lebenserwartung um einiges höher als die der derzeitig gesetzlich Versicherten ist.

Im Gegenzug würden daher in einer längeren Perspektive die öffentlichen Haushalte selbst dann entlastet, wenn das individuelle Versorgungsniveau der Beamten nicht geschmälert würde. Das alles hatte schon 2003 die von mir geleitete „Nachhaltigkeitskommission“ herausgestellt. Bei einer Ausweitung des Versichertenkreises geht es deshalb nicht um einen Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Stabilisierung der umlagefinanzierten Rentenversicherung, sondern um eine Gleichbehandlung im Alter - also in erster Linie eine Gerechtigkeitsfrage und erst danach um eine langfristige Verringerung der Gesamtausgaben für die Altersversorgung.

Sollten die Umsteiger neben der gesetzlichen Rentenversicherung dann auch in eine Riester-Vorsorge einzahlen? Das würde zwar das Umlagesystem etwas weniger stärken, wäre aber doch konsequent?

Bert Rürup: Beamte können „riestern“, seit die Leistungsrücknahmen der Rentenreform von 2001 auf die Beamtenversorgung übertragen wurden. Dazu wurde der Höchstsatz der Pensionen schrittweise von zuvor maximal 75 Prozent des während der letzten zwei Jahre vor dem Ruhestand bezogenen Bruttogehalts, auf 71,75 Prozent abgesenkt. Und anders als die steuer- und sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung zum Aufbau einer Betriebsrente schwächt die Förderung einer Riester-Rente durch Zuschüsse oder Steuervergünstigungen weder das Beitragsaufkommen  der gesetzlichen Rentenversicherung noch das Steueraufkommen, aus dem die Beamtenversorgung finanziert wird.

Der krasse Vergleich von beamteten versus angestellten Lehrern wirft die generelle Frage auf , ob über staatliche Zwangsabgaben finanzierte Altersvorsorgesysteme, die bei gleichen Tätigkeiten durch eine massive Ungleichbehandlung in der Auszahlungsphase gekennzeichnet sind, noch in die heutige Zeit passen?

Bert Rürup: Na ja. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sind zwar beide Zwangsabgaben. Allerdings sind Steuern Zwangsabgaben ohne Anspruch auf eine Gegenleistung, während den Beiträgen zur Sozialversicherung, namentlich zur Rentenversicherung eine explizite Gegenleistung gegenübersteht und sie somit auch so etwas wie einen Preis darstellen.

Sehen Sie hier die Gefahr des Auseinanderdriftens der Gesellschaft?

Bert Rürup: Ja. Allerdings ist das gefühlte und in den Medien kommunizierte Auseinanderdriften deutlich höher als das tatsächliche. Was die Verteilung der Nettoeinkommen angeht gehört Deutschland nach wie vor zur Gruppe der Länder mit einer vergleichsweise geringen Ungleichheit. Im Gegensatz dazu driftet aber die Vermögensverteilung - nicht zuletzt in Folge der lückenhaften Erbschaftsteuer - zunehmend auseinander und ist sehr viel ungleicher als in den anderen europäischen Ländern - mit Ausnahme Schwedens.

Mit der Integration der Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung haben Sie das Beispiel unserer österreichischen Nachbarn vor Augen, die 2004 damit begonnen haben, Beamte, die jünger als 50 Jahre sind, ins Angestelltenverhältnis ‚umzubuchen‘. Sie landen damit im gesetzlichen Rentensystem. Könnte das bei uns funktionieren?

Bert Rürup: Ein Rückbau der Beamtenversorgung ist natürlich möglich, stellt aber einen außerordentlichen Kraftakt dar, wie ihn allenfalls eine so starke und gestaltungswillige Große Koalition zustande bringen könnte, wie die erste GroKo der Bundesrepublik von 1966 bis 1969.

Über welche Übergangszeiträume müsste hier nachgedacht werden?

Bert Rürup: Ich schätze mindestens 40 Jahre, da in unserem Rechtsstaat alle in der Beamtenversorgung erworbenen Ansprüche ausfinanziert werden müssen. Vollständig in das neue System können nur Berufseinsteiger integriert werden.

Was würde eine solche Umstellung kosten?

 Bert Rürup: Das kann niemand sagen. Genauso wenig kann man heute sicher sagen, auf wie viel Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt sich die Ausgaben für die Altersversorgung in 40 Jahren belaufen werden. Man weiß allerdings, dass es mehr werden wird. Dies lässt sich auch politisch kaum verhindern, weil das Medienalter der Wähler weiter steigen wird. Wir werden in 40 Jahren sicher deutlich mehr ausgeben als die derzeitigen 10 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Im Übrigen: Die Bevölkerung in Österreich ist jünger als in Deutschland; dennoch werden in der Alpenrepublik derzeit 14 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung für die staatliche Altersvorsorge ausgegeben.

Angenommen, wir würden den Systemwechsel in der Altersversorgung mit einem Teil der Beamten angehen: Sollten die Wechsler parallel dazu dann in der Krankenversicherung den Wechsel von der Beihilfe ins gesetzliche Kassensystem vollziehen? Das wäre doch folgerichtig?

Bert Rürup: Wer als Angestellter mit seinem Arbeitseinkommen unter der Versicherungspflichtgrenze liegt – derzeit sind das 62.550 Euro im Jahr – muss Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sein.

Wichtig: Gibt es Unterstützer für Ihre Idee?

Bert Rürup: Klar gibt es die: Viele in der Linkspartei, eine beachtliche Anzahl in der SPD, einige in der Union und wohl kaum jemand aus der FDP.

Die wievielte Rentenreform ist das für Sie als aktiver Begleiter?

Bert Rürup: Ich habe bislang fünf Rentenreformen aktiv begleiten dürfen. Die anstehende Reform gehört nicht dazu.

Herr Professor Rürup, haben Sie vielen Dank für das Interview.

Das Gespräch führte Rita Lansch (www.bocquel-news.de)

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