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PKV-Forum: Duales System versus Bürgerversicherung

7. September 2017 - Eine deutliche Absage erteilten Fachleute gestern der sogenannten Bürgerversicherung beim 16. Continentale PKV-Forum in Köln. Sie diskutierten über alles, was das derzeitige Gesundheitssystem ausmacht. Außerdem wiesen sie auf die dringende Beibehaltung des dualen Systems – GKV und PKV – hin.

Die wirklichen Herausforderungen im bestehenden Gesundheitswesen hierzulande lassen sich nicht durch die von mehreren Parteien gewünschte Bürgerversicherung lösen. Außerdem sei die These, dass die Bürgerversicherung zu mehr Gerechtigkeit führe, schlicht weg falsch. Darin waren sich gestern beim 16. Continentale PKV-Forum Wissenschaftler, Krankenversicherer Verbandsrepräsentanten und Gesundheitsökonome einig. „Es geht auch nicht um echte Ungerechtigkeit, es geht um gefühlte Ungerechtigkeit, es geht um Emotionen“, sagte Gastgeber Christoph Helmich, Vorstandsvorsitzender des Continentale Versicherungsverbunds (www.continentale.de) gestern in Köln.

Zwar spiele das Thema Bürgerversicherung derzeit im Bundestagswahlkampf fast gar keine Rolle, doch die privaten Krankenversicherer (PKV) sollten sich stetig weiter mit den Auseinandersetzungen darum befassen. Man dürfe nicht vergessen, dass die Einheitsversicherung (sprich Bürgerversicherung) in den Wahlprogrammen des rot-grünen Spektrums stehe, sagte Helmich. „Bei Koalitionsverhandlungen kann die Bürgerversicherung in welcher Form auch immer auf die Tagesordnung kommen.“

Der Chef der Continentale forderte, dass man jetzt auf die Emotionen in der Bevölkerung stärker eingehen müsse: „Ich bin der Überzeugung, dass wir die Bevölkerung auch emotional ansprechen müssen.“ Nur so könne die gesamte Bevölkerung die PKV als etwas Positives wahrnehmen. Das dürfe nicht allein auf die Privatpatienten begrenzt bleiben.

Dualität darf nicht unterschätzt werden
Nicht unterschätzt werden dürfte auch, wie wichtig die bestehende Dualität von GKV und PKV für die gesamte Bevölkerung sei. „Dem deutschen Gesundheitssystem geht es nur gut, wenn es beiden Bestandteilen gut geht“, fügte der Continentale-Chef hinzu. Im Augenblick – so Dr. Christoph Hellmich – befindet sich die Zufriedenheit der Bundesbürger mit dem dualen Gesundheitssystem auf einem Höchstniveau.

Die von den Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke im Wahlkampf propagierte Einheitsversicherung wurde schließlich auch während der Podiumsdiskussion „Bürgerversicherung: Fakten statt Fake News“ thematisiert.

Prof. Jürgen Wasem, der renommierte Gesundheitsökonom, sagte, dass die Bürgerversicherung seiner Meinung keineswegs zur Abschaffung von sozialer Ungleichheit im Gesundheitswesen führe, wie es Kreise Glauben machen wollten. „Dann müsste man auch die Zusatzversicherungen abschaffen. Das wird in Deutschland nicht möglich sein.“

Die Continentale, die zum PKV-Forum wie alljährlich wieder eine neue Studie – thematisch zum Gesundheitswesen passend – vorlegte, hatte repräsentativ von 1.365 Personen Aussagen zur Bürgerversicherung gesammelt. Dazu sei erwähnt, dass 1.195 der Befragten in einer gesetzlichen Krankenkasse (GKV) versichert sind. Immerhin waren 56 Prozent überzeugt, dass sich auch bei der Bürgerversicherung Besserverdienende eine bessere medizinische Versorgung leisten könnten (Continentale-Grafik – zum Vergrößern bitte anklicken).

Schließlich fanden 44 Prozent, dass sich die Versorgung für alle ohne den Wettbewerb zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung verschlechtern werde. 48 Prozent stimmten für das Gegenteil.

Die Qualität der Gesundheitsversorgung in Deutschland ist nach Ansicht von Prof. Wasem nicht davon abhängig, ob jemand gesetzlich oder privat versichert ist. „Nach allem was ich weiß, gibt es keinen Beleg dafür, dass die Privatversicherten vom Ergebnis her besser gesundheitlich versorgt werden“, sagte der Gesundheitsökonom.

PKV-Verbands Volker Leienbach warf in die Debatte ein, dass es auch in der GKV nicht immer gerecht zuginge. Offensichtlich werde das am Beispiel, dass die GKV-Beiträge nur bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze des Einzelnen angehoben werden. Wann und ob jemand Zugang zu guter gesundheitlicher Versorgung hat, sei meist an solchen Faktoren wie der Bildung festzumachen. „Zu glauben, dass man über die de jure-Gleichheit eine de facto-Gleichheit erreicht, ist naiv“, sagte Leienbach.

Auch GKV-Mann stimmt der PKV-Meinung zu
Selbst aus der Ecke der GKV bekam Leienbach Zustimmung. Norbert Klusen, ehemaliger Vorsitzende der Techniker Krankenkasse ist ebenfalls der Meinung, dass die Bürgerversicherung keinesfalls der Weg zu mehr Gerechtigkeit im Gesundheitswesen sein könnte. „Eine Bürgerversicherung einzuführen, nur um vermeintliche Gerechtigkeit herzustellen, lohnt sich nicht.“ Klusen betonte, dass es wichtigere Dinge gebe, die jetzt dringlicher behandelt werden müsste „als dieses tote Pferd“.

Dr. Martin Albrecht, Geschäftsführer der Iges Institut GmbH, verwies auf eine Studie von der Bertelsmann-Stiftung aus dem Frühjahr, nach der Bund und Länder 60 Milliarden Euro durch eine GKV-Pflicht für Beamte sparen würden. Bekanntlich hat das Bundesland Hamburg im August verfügt, dass die Landesbeamten schon mal die Wahlfreiheit haben werden, ob sie per PKV oder GKV krankenversichert sein möchten (siehe bocquel-news am 21. August 2017 PKV und GKV: Gerangel um Wahlfreiheit für Beamte).

PKV-Direktor Leienbach sah Schwächen in der Bertelmann-Studie, zumal nur bis 2030 gerechnet worden sei. Außerdem seien die Pflegeversicherung sowie der Rechtsrahmen außen vor gelassen worden. Albrecht verteidigte die Untersuchung – man habe lediglich eine Szenarioanalyse gemacht. Für durchsetzbar halte er das Szenario nicht. Die Berechnungen – „kleine Puzzleteile in einem sehr komplexen Ganzen“ – sollten Fragen anstoßen, erläuterte er zum Hintergrund der Untersuchung. Die Bürgerversicherung könne man nicht in einer einzigen Studie abhandeln.

Norbert Klusen mischte sich und hob hervor, dass die Iges-Szenarioanalyse interessant sei. Es stelle sich aber die Frage, weshalb man die Notwendigkeit einer Bürgerversicherung sehe. Schließlich seien große Teile der Bevölkerung mit dem derzeitigen Gesundheitssystem hierzulande „hochzufrieden“.

Wirtschaftsjournalist Michael Opoczynski, der seit Jahren Moderator des Continentale PKV-Forums ist, stellte am Ende der Podiumsdiskussion einige Thesen auf. An den PKV-Forums-Teilnehmern war es dann, eine Bewertung vorzunehmen. So fragte Opoczynski, ob die Bürgerversicherung für mehr Gerechtigkeit sorge, da alles für alle gleich gut sei, wie von Befürwortern der Bürgerversicherung immer wieder angeführt werde. Die Diskussionsteilnehmer am Podium stimmten der These nicht zu. Bürgerversicherung ist sogar laut Prof. Wasem „in dieser Form Quatsch“.

Auch die Frage: „Kapitalerträge und Mieteinnahmen sollten zur Beitragsbemessung mit herangezogen werden – gut oder schlecht?“ sorgte für Gesprächsstoff. Iges-Instituts-Chef Albrecht sagte mit Bezug auf eine Studie aus dem Jahr 2013, dass der Effekt kaum spürbar sei. Demnach würde sich das Beitragsaufkommen nur um circa 3 Prozent erhöhen. Gerechnet hatte man allerdings mit Beitragsbemessungsgrenze auf Niveau der Rentenversicherung.

„Ein neues Bürokratiemonster“ befürchtete Marcus Kremer; das sei „unerträglich“, so dass man da strikt dagegen sein müsse. (eb-db / Fotos © Continentale/Ruppert Warren / www.bocquel-nes.de)

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