19. Juni 2014 - Die Lebensversicherer haben Probleme mit den Bewertungsreserven und der Zinszusatzreserve. Und Lebensversicherungs-Kunden beklagen die verwirrende Intransparenz. Jetzt soll das Lebensversicherungsreform-Gesetz Besserung bringen. Wer blickt hier noch durch?
Möglichst noch vor der Sommerpause sollen Teile des neuen Lebensversicherungsreform-Gesetzes (LVRG) beschlossene Sache sein - und komplett spätestens zum 1. Januar 2015 ("LV-Reformgesetz steht - Höchstzillmersatz gesenkt") umgesetzt werden. Wer erwartet hat, dass der größte Teil der Lebensversicherer hierzulande damit zufrieden ist, der irrt. Auch die Lebensversicherungs-Kunden wissen nicht so recht, ob sie den Entwurf des LVRG für gut befinden sollen, obwohl speziell für sie das LVRG mehr Transparenz und mehr Gerechtigkeit bringen sollte. Das Echo in der Branche - und selbst bei den Verbraucherschützern - zeigt wenig von uneingeschränkter Zufriedenheit. Ferdinand Graf Wolff Metternich (Foto: E. Bocquel), Partner der Oliver Wyman AG in Zürich (www.oliverwyman.com), auf dessen Rat als ausgewiesener Experte in allen Versicherungsdingen hierzulande Assekuranzen und Finanzvertriebe großen Wert legen, erklärt in einem Gespräch mit den bocquel-news, worauf es beim LVRG ankommt beziehungsweise ankommen sollte.
Das „Reformpaket zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte" - so die offizielle Bezeichnung - soll an bestehende Regeln angepasst werden. Es ergeben sich damit Vorschriften, die laut Bundesfinanzministerium (www.bundesfinanzministerium.de) die Bilanz der Lebensversicherungs-Unternehmen stärken.
Ist das wirklich so? Beispielsweise ist die Brisanz beim Punkt „Beteiligung an den Bewertungsreserven (BWR)" nicht zu übersehen. Weshalb?
Metternich: Die Versicherungsnehmer, die aus dem Kollektiv ausscheiden, müssen weiterhin zu mindestens 50 Prozent an den BWR beteiligt werden. Diese Beteiligung wird allerdings, was die Reserven für festverzinsliche Wertpapiere angeht, auf den Betrag eingeschränkt, der über den Sicherungsbedarf hinausgeht. Der Sicherungsbedarf entspricht dem gesamten zukünftigen Finanzierungsbedarf für die Zinszusatzreserve unter der Annahme, dass der Zinssatz auf dem Niveau des Stichtages verbleiben würde. Dies ist eine tiefgreifende Regelung und stärkt die Bilanz der Gesellschaften, da die stillen Reserven geschont werden.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen ein?
Metternich: Dies kommt auch indirekt den Kunden zu Gute, die langfristig ihre Verträge besparen und im Kollektiv verbleiben. Dies weist grundsätzlich in die richtige Richtung. Beim aktuellen Zinsniveau entsteht allerdings für die Versicherer ein erheblicher Sicherungsbedarf, und das für mehrere Jahre. Die erwartete Beteiligung an den Bewertungsreserven ist Teil der Gesamtverzinsung. Durch die mit der verminderten Beteiligung an den BWR verbundene Absenkung der Gesamtverzinsung verliert allerdings das Produkt Lebensversicherung weiter an Attraktivität. Die Spreizung zwischen reservestarken Gesellschaften, die noch ausschütten können und reserveschwachen, die kein Ausschüttungspotential haben, wird zunehmen. Darauf werden unabhängige Vermittler natürlich achten müssen, um Beratungshaftung zu vermeiden.
Was hat es mit dem Ausschüttungsverbot für Dividenden auf sich? Darf ein Bilanzgewinn als Dividende nur denn ausgeschüttet werden, wenn er über den Sicherungsbedarf hinausgeht?
Metternich: Korrekt. Bei dem aktuellen Zinsniveau können für mehrere Jahre keine Dividenden gezahlt werden. Das bedeutet aber auch, dass die Attraktivität der Lebensversicherung für externe Kapitalgeber weiter sinkt. So wird beispielsweise auch der Aufbau einer privat finanzierten Abwicklungsgesellschaft oder der Kauf einer Versicherungsgesellschaft durch einen externen Kapitalgeber unattraktiver.
Die Mindestbeteiligung am Risikoergebnis soll laut LVRG auf 90 Prozent steigen. Was muss sich der Versicherungsnehmer darunter vorstellen?
Metternich: Für die Versicherungsnehmer hat dies Vorteile, da sie in höherem Ausmaß als bisher an den Risikoergebnissen beteiligt werden. Für die Versicherungsunternehmen reduziert sich das Gewinnpotenzial deutlich, da das Risikoergebnis eine wesentliche Gewinnquelle ist. Dies ist besonders bei ertragsstarken Versicherungsunternehmen der Fall, da bei ertragsschwachen faktisch schon bisher der effektive Anteil der Kunden am Risikoergebnis über 90 Prozent liegt. Bei ertragsstarken Gesellschaften steigt somit die Überschussbeteiligung. Aus der Perspektive des Eigentümers sinkt die Profitabilität aller biometrischen Produkte. Zudem wird es für die Unternehmen wichtiger, ein zumindest neutrales übriges Ergebnis zu erzielen, da weniger Risikoergebnis zur Kompensation zur Verfügung steht. Dies wird den Druck zur Kostensenkung weiter erhöhen.
Was hat es mit der Verrechnung vor Ergebnisquellen auf sich?
Metternich: Ein negatives Kapitalanlageergebnis darf mit einem positiven Risikoergebnis oder einem positiven übrigen Ergebnis verrechnet werden. Ein negatives Risikoergebnis oder ein negatives übriges Ergebnis darf nicht mit anderen Quellen verrechnet werden. Dies bedeutet eine stärkere Beteiligung des Versicherungsnehmers an der Finanzierung der Mindestverzinsung und eine Reduzierung des Risikos, dass die Bedeckungs-Quote unter 100 Prozent fällt, was ein wesentliches Ziel des Gesetzgebers ist.
Die Absenkung des Höchstrechnungszinses von 1,75 auf 1,25 Prozent ist bereits seit längerem im Gespräch. Das wird jetzt im LVRG festgeschrieben. Ist das gut oder schlecht für den Versicherungsnehmer?
Metternich: Damit sinkt die garantierte Ablaufleistung eines Lebensversicherungs-Vertrages. Natürlich sieht der Versicherungsnehmer das negativ. Die Attraktivität des Vorsorge-Produktes Lebensversicherung verliert weiter an Attraktivität. Es bedeutet ja auch, dass die Beitragsrückgewähr bei kurzen Laufzeiten nicht mehr garantiert werden kann. Dies wird die Riester-Produkte bei vielen Unternehmen in Frage stellen, vor allem, wenn das Provisionsniveau hier nicht gesenkt wird. Umso wichtiger ist es, als Kunde bei einem Unternehmen versichert zu sein, dessen Verzinsung deutlich über der Garantieverzinsung liegt, und dessen Chancen auch in Zukunft erfolgsversprechend sind.
Grundsätzlich wird die Senkung des Höchstrechnungszinses die Entwicklung alternativer Produkt- und Garantiekonzepte sowohl für die Anspar- als auch für die Entsparphase weiter beschleunigen. Kunden werden akzeptieren müssen, dass sie für akzeptable Renditen in Vorsorge und Rentenprodukten höhere Risiken nehmen müssen und daher höhere Fondanteile und niedrigere Garantien in den Produkten haben. Das klassische Garantieprodukt wird weiter Boden verlieren, alternative Garantiekonzepte sind gefragt.
Eine große Herausforderung ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Höchstrechnungszinses am 1. Januar 2015. Bis dahin sind alle Tarife neu zu kalkulieren. Das wird schwierig werden, da hätte ich mir mehr Zeit gewünscht.
... und die geplante Absenkung des Höchstzillmersatzes auf 25 ‰ (Promille), welche Auswirkung hat dies?
Metternich: Da in der Regel die gezillmerten Provisionssätze höher sind, bedeutet dies bei unveränderten Abschlussprovisionen und der Verteilung der nicht mehr zillmerbaren Provisionsanteile auf die Laufzeit einen gesteigerten Vorfinanzierungsbedarf für die Unternehmen. Unter Berücksichtigung der Stornoeffekte werden dem Kunden, der bis zur Ablaufleistung sein Produkt bespart, noch höhere Kosten als bisher verrechnet, was das Produkt weiter verschlechtert. Dies alles führt meines Erachtens zur Notwendigkeit eine Neugestaltung des Provisionssystems und Provisionssenkungen ins Auge zu fassen. Die Folgen der anhaltenden Niedrigzinspolitik tragen in der Lebensversicherung bisher vor allem der Kunde und die Unternehmen; hier auch den Vermittler einzubeziehen ist meines Erachtens unvermeidlich. Dies ist eindeutig auch die Intention des Gesetzgebers. Es muss allerdings mit Augenmaß und durch intelligente Provisionskonzepte geschehen.
Inhalt des LVRG ist auch die Offenlegung der Provisionen. Verbraucherschützer fordern das bereits seit längerem ein. Ist das gut so?
Metternich: Transparenz ist ja grundsätzlich eine Forderung, der man sich nicht verschließen kann. Nun müssen Abschlussprovisionen in Leben und anderen Sparten offengelegt werden. Dies wird die Diskussion um Provisionsabgabe an Kunden wieder neu beschleunigen. Vermittler werden besser lernen müssen, ihre Leistung, die auch etwas kosten muss, zu verkaufen; der Druck auf die Provisionen in der heutigen Form wird steigen, ein weiterer Grund über Umgestaltung der Provisionssysteme nachzudenken. Diese müssen Einkommensbestandteile beinhalten, die nicht unmittelbar als Abschlussprovisionen auszuweisen sind.
Nötig sind auch neue Produkte, die über einen höheren Fondsanteil zusätzliches Einnahmepotential generieren. Da werden wir vielfältige Aktivitäten sehen, wenn sich die erste Aufregung über das neue Gesetz gelegt hat. Da auch die Verwaltungskosten als Anteil der Jahresprämie ausgewiesen werden müssen, nimmt zusätzlich auch der Kostenwettbewerb in der Branche zu, wieder ein Vorteil für leistungsstarke Gesellschaften mit niedrigen Kosten.
Wird sich Ihrer Meinung nach auch wegen der Forderungen im neuen LVRG die Zahl der Lebensversicherungs-Unternehmen in Deutschland drastisch verringern?
Metternich: Das muss man differenziert sehen. Durch die genannten Effekte wird das Lebensversicherungsgeschäft deutlich weniger attraktiv. Dazu kommt noch das Ausschüttungsverbot für Dividenden, das besagt, dass ein Bilanzgewinn nur als Dividende ausgeschüttet werden darf, wenn er über den Sicherungsbedarf hinausgeht. Das wird für viele Gesellschaften jahrelang ein Ausschüttungsverbot bedeuten. Gerade für kapitalmarktorientierte Gesellschaften ist das extrem negativ. Da wird der Eine oder der Andere schon darüber nachdenken, ob er das Lebensgeschäft noch weiter betreiben will oder, falls er es zur Finanzierung eines inländischen Vertriebes braucht, es aus dem Ausland beisteuert, wo es geringere regulatorische Auflagen gibt. Die Dienstleistungsfreiheit der EU ermöglicht dies ja.
Der durch das Gesetz zunehmende Wettbewerb zwischen den starken und schwachen Lebensversicherungen wird ebenfalls Konsolidierungseffekte beschleunigen. Gegenseitigkeitsvereine sind geringer betroffen, da sie nicht an Aktionäre ausschütten müssen. Man kann das Gesetz auch durchaus so verstehen, dass das Lebensversicherungsgeschäft stärker sozialisiert wird und dementsprechende Gesellschaftsformen präferiert. Ob das Produkt durch das Gesetz für den Kunden attraktiver wird, muss sich erst weisen; die durch das Gesetz ausgelösten Effekte sind so vielschichtig und gegenläufig, so dass die endgültige Auswirkung für den Kunden heute noch gar nicht abschließend beurteilt werden kann. Natürlich wird die Zahl der Teilnehmer am Lebensversicherungsmarkt in Deutschland geringer werden, allein schon wegen möglicher Fusionen und Auslagerungen des Produkts Lebensversicherung auf andere Gesellschaften. In zehn Jahren wird es sicher deutlich weniger aktive Gesellschaften geben. Dies wird aber ein langsamer und kein schlagartiger Prozess.
Kurz zusammengefasst: Was müssen Lebensversicherungen jetzt tun?
Nachdem sie den strategischen Entscheid über den Fortbestand des Lebensversicherungsgeschäfts getroffen haben, müssen sie ihr Provisions- und Vergütungssysteme überprüfen und neu gestalten, ihr Produktangebot innovativ verändern und ihre Kostenposition deutlich verbessern. Das gilt für nahezu alle Gesellschaften und ist ein Programm, das sich über längere Zeit hinziehen dürfte. Und unmittelbar ist die Aufgabe zu bewältigen, bis Jahresende alle Tarife neu zu kalkulieren. Das alles zusammen ist wirklich eine echte Herausforderung!
Das Interview führte Ellen Bocquel.
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