18. Oktober 2012 - Alarmstufe Rot für Versicherer! Auf den Nenner „Unzufriedenheit und Wechselbereitschaft" bringen die Berater der Bain & Company die Antworten von 2.500 Kunden aller großen deutschen Versicherer, die sie in einer aktuellen Studie analysiert haben.
„Was Versicherungskunden wirklich wollen" ist der Titel einer aktuellen Studie der Managementberatung Bain & Company Germany, Inc. (www.bain.de) in deren Rahmen mehr als 2.500 Versicherungskunden befragt wurden. Eine „weit verbreitete Unzufriedenheit und Wechselbereitschaft" werde mit der Studie aufgedeckt, sagt eine Bain-Sprecherin. Die Branche müsse handeln - mit einer Rückbesinnung auf alte Tugenden und der konsequenten Einbindung neuer Technologien. In der Studie werden Hintergründe erklärt und fünf entscheidende Erfolgsfaktoren für Versicherungsunternehmen benannt, mit deren Hilfe die deutschen Assekuranzen aktuelle Herausforderungen meistern könnten, um ihre Kunden wieder stärker an sich zu binden.
Wettbewerbsdruck steigt in allen Versicherungsparten
Der Wettbewerbsdruck in allen Versicherungsparten steigt, und die Regulierungsdichte wächst: Deutschlands Versicherer bewegen sich aktuell in einem schwierigen Marktumfeld und müssen - auch mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung der Branche - einen weitreichenden Umbau ihrer Geschäftsmodelle bewältigen. „Angesichts dieser Herausforderungen laufen viele Anbieter Gefahr, ihr wichtigstes Kapital aus den Augen zu verlieren: ihre Kunden", heißt es der Bain & Company Germany.
In der Folge steige die Unzufriedenheit und Wechselbereitschaft bei den Kunden, wie mit der aktuellen Bain-Befragung belegt werde. Bain & Company misst die Kundenzufriedenheit seit mehr als zehn Jahren mit dem sogenannten Net Promoter® Score (NPS). Eine Kennzahl dafür ergibt sich den Angaben zufolge aus den Antworten auf die alles entscheidende Frage: „Auf einer Skala von null bis zehn, wie wahrscheinlich ist es, dass Sie diese Versicherung einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen?"
Die Antworten haben die Bain-Berater drei Kategorien zugeordnet. Dabei habe sich gezeigt, dass nur Werte von neun oder zehn für wirklich begeisterte Kunden stehen („Promotoren"), sieben und acht eher „passiv Zufriedene" sind und Bewertungen von sechs oder weniger als „Kritiker" eingestuft werden müssen. Minuswerte würden bedeuten, dass es weit mehr Kritiker als Anhänger gebe. „Ein hoher NPS-Wert, insbesondere im Vergleich zum Wettbewerb, besitzt eine enorme wirtschaftliche Bedeutung", heißt es.
Für die Versicherungs-Branche liegt der NPS laut Bain & Company aktuell bei minus 8 Prozent. Noch schlechter als die Versicherer schneiden nur die Banken mit einem NPS von minus 13 Prozent ab. Andere Branchen stehen in den Augen der Kunden erheblich besser dar: So liegt der NPS in der Automobilindustrie bei plus 23 Prozent und bei Computerherstellern bei plus 15 Prozent. Der Blick auf die Versicherungs-Branche zeige, dass eine tiefe Kluft zwischen den Unternehmen und ihren Kunden bestehe. Dr. Henrik Naujoks (Foto), Autor der Studie und Partner bei Bain & Company in Düsseldorf sagt: „Kundeninteraktion, Kundenloyalität und Ertragspotenzial von Versicherungsunternehmen hängen eng zusammen. Unsere Studie zeigt, dass treue Bestandskunden die wichtigsten Ertragstreiber sind, denn sie kaufen mehr Produkte, lassen Verträge länger laufen und bringen daher erheblich höhere Prämieneinnahmen."
Unzufriedene Versicherungskunden kein Naturgesetz
Eine detaillierte Analyse der Studienergebnisse zeigt laut Dr. Naujoks, dass es auch in der Versicherungs-Branche gelingen könne, Kunden zu begeistern. Insbesondere Direktversicherern - mit ihrer klaren und nachvollziehbaren Positionierung - könnte es vergleichsweise gut gelingen, die Kundenerwartungen zu erfüllen. Während ihr NPS laut Studie im Durchschnitt bei plus 6 Prozent liegt, haben die öffentlichen Versicherer mit einem NPS von minus 8 Prozent, die Versicherungsvereine mit einem NPS von minus 9 Prozent und die großen Aktiengesellschaften mit einem NPS von minus 11 Prozent das Nachsehen. Die traditionellen Anbieter könnten vor allem dann überzeugen, wenn sie mehrere Policen eines Kunden auf sich vereinen. „Die NPS-Werte für Hauptversicherer liegen zum Teil deutlich über denen für Nebenversicherer", sagt Dr. Naujoks.
Zudem würden sich die Befragten, die erst vor kurzem Kontakt mit ihrem Anbieter hatten, erheblich positiver als andere äußern. Dies gelte für jede Interaktion mit einer Versicherung - vom Vertragsabschluss über eine Schadenmeldung bis hin zur Adressänderung. Lag die letzte Interaktion länger als zwei Jahre zurück, ergab sich ein NPS von minus 33 Prozent; demgegenüber erreicht der Wert bei einem Kontakt in den vergangenen drei Monaten laut Studie plus 12 Prozent. Dr. Dirk Lubig (Foto), Co-Autor der Studie und Partner bei Bain & Company in München, sieht hier einen einfachen Hebel zur Steigerung der Kundenloyalität: „Bis heute ist es die Ausnahme, dass ein Kunde wenigstens einmal pro Jahr von seinem Vermittler kontaktiert wird. Intern fehlen häufig noch ganzheitliche Ansätze und Prozesse, sowie ein entsprechendes Monitoring. Dabei stärkt selbst ein kurzer Kontakt nicht nur die Bindung und damit die Loyalität, sondern bietet vielmehr eine ideale Möglichkeit, über neue Produkte oder Veränderungen bei bestehenden Verträgen zu sprechen."
Die messbare Unzufriedenheit hat laut Bain-Studie erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen: Denn Promotoren erwerben der Bain-Studie zufolge fast 70 Prozent mehr Produkte, bleiben ihrem Versicherer im Durchschnitt eineinhalb Jahre länger treu und empfehlen sie mehr als doppelt so oft weiter wie Kritiker. „Im Ergebnis liegen die Prämieneinnahmen bei einem loyalen Kunden fast doppelt so hoch wie bei einem Kritiker", heißt es.
Versicherer schätzen Kundenerwartungen falsch ein
Um noch ungenutzte Ertragspotenzial zu realisieren, müssten die Versicherer die Lücke zwischen den Bedürfnissen der Kunden und dem tatsächlichen Angebot schließen. Viele Versicherte haben laut Bain-Beratern ihren Kundenkompass in den vergangenen Jahren auf Basis falscher Hypothesen geeicht und in der Folge die Befriedigung grundlegender Kundenbedürfnisse vernachlässigt.
In der Bain-Studie wurde herausgefunden, dass der wichtigste Loyalitätstreiber die vom Kunden empfundene Fairness und Sicherheit seines Versicherers ist. Auf Platz zwei rangiert den Angaben zufolge die Beratung und Erfüllung seiner individuellen Bedürfnisse. Erst an dritter Stelle steht das Thema Preise, gefolgt von der Transparenz der Produkte und dem Service.
Viele Anbieter hätten sich dagegen einseitig auf günstige Tarife und schlanke Strukturen fokussiert, heißt es. Dieser „falsch geeichte Kompass" führe dazu, dass die Erwartungen der Kunden unerfüllt bleiben und in der Folge Unzufriedenheit und Wechselwilligkeit wachsen. Bei Anbietern, die diese wahren Kundenbedürfnisse nicht erfüllen, dürfte eine Abstimmung mit den Füßen folgen: Knapp 40 Prozent der Versicherten erklärten, dass sie wechselwillig seien.
Kunden differenzieren nicht zwischen einzelnen Vertriebs-Kanälen
Für die Versicherer haben den Angaben zufolge diese Umfrageergebnisse weitreichende Konsequenzen. Versicherungs-Experte Naujoks: „Noch sehen viele Anbieter das Internet - neben dem Ausschließlichkeits-Vertrieb, Maklern und Banken - als einen weiteren Vertriebs-Kanal. Doch die Kunden differenzieren nicht mehr länger zwischen den einzelnen Kanälen, sondern erwarten ein einheitliches Angebot und Serviceerlebnis. Die Unternehmen müssen daher mit Hochdruck die noch bestehenden Grenzen zwischen Online- und Offline-Welt überwinden und eine sogenannte Omni-Channel-Fähigkeit ihres Angebots und Ihrer Beratung sicherstellen."
Fünf Erfolgsfaktoren: Was die Versicherer jetzt ändern müssen
Neben einem maximalen Kundenfokus zählen laut Meinung der Bain-Experten hierzu eine klare Positionierung und Emotionalisierung der Marke, die Integration der Online- und Offline-Welten durch einen konsequenten Omni-Channel-Ansatz, die Stärkung des Ausschließlichkeitsvertriebs und die Mobilisierung sowie Qualifizierung des Innen- und Außendienstes. Nach Dr. Naujoks Überzeugung bricht in der deutschen Assekuranz eine neue Ära an: „In den vergangenen Jahren haben viele Versicherer ihre Kosten und Strukturen optimiert und dabei häufig ihr wichtigstes Asset, die Kunden, aus den Augen verloren." Jetzt gehe es darum eine qualitativ hochwertige, individuelle Betreuung in der Fläche zu gewährleisten und zugleich den in allen Branchen spürbaren Wunsch nach einer zügigen Digitalisierung Rechnung zu tragen. (eb / www.bocquel-news.de)
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