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Bei Pflege zwei Klassen und auch "Aldi-Vorsorge"?

11. September 2014 - Harte Fakten, kritische Anmerkungen, alternative Vorschläge und philosophische Gedanken bestimmten die Diskussionen beim 14. PKV-Forum der Continentale Krankenversicherung in Köln. Alles drehte sich um die Continentale Studie zur Pflegebedürftigkeit.

Mit 83 Prozent ist die Angst vor Pflegebedürftigkeit die größte Sorge der Deutschen. Mit einer Pflege-Zusatzversicherung wäre die Sorge, dann Angehörigen zur Last zu fallen, zumindest finanziell auszuhebeln. Dennoch haben nur 3 Prozent der Bevölkerung haben eine Pflegezusatzversicherung. „Unwissenheit verhindert Vorsorge", heißt es dazu in der neuen Continentale Studie 2014 - gerade erst erschienenen Studie, die sich ausschließlich um das Risiko Pflegebedürftigkeit dreht. Das Risiko Pflegebedürftigkeit stand auch komplett im Mittelpunkt des 14. PKV-Forums der Continentale Krankenversicherung a.G. (www.continentale.de) am Dienstag in Köln. Experten aus Wissenschaft, Versicherungswirtschaft und der Politik diskutierten die harten Fakten rund um die Probleme Pflegebedürftigkeit und ihre finanziell katastrophale Lage.

„Pflegevorsorge ist keine Erfindung von heute und auch nicht von der Politik. Denn schon 1984 hatten hierzulande die privaten Krankenversicherer im PKV (www.pkv.de) Angebote und Lösungen erstellt, wie die Vorsorge bei Pflegebedürftigkeit über eine private Pflegeversicherung finanziell aufgefangen werden könnte", sagte Helmut Posch, Chef des Versicherungsverbunds Die Continentale zum Auftakt der Veranstaltung mit rund 1.000 Teilnehmern.

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Ernste Gesichter bei einem ersten Thema: Conti-Chef Helmut Posch und der Philosoph Richard David Precht (Foto: v.l.n.r. E. Bocquel) beleuchteten das Problem der Pflegebedürftigkeit in unterschiedlicher Weise - aber mit demselben düsteren Ausblick.
Weshalb trotz hohen Bedarfs die Durchdringung von Pflegezusatz-Policen nur äußerst gering ist, liege nicht an unzureichenden Produkten und mangelndem Geld. Vielmehr fehle es an der richtigen Kommunikation, dem passenden Vertriebsansatz und schließlich am rechten Verständnis in der Bevölkerung. Auf diesen Nenner einigten sich Praktiker und Gelehrte bei dem Expertengespräch. Jenseits von Moral und Verantwortung sei die finanzielle Situation der Knackpunkt, dass sich die Pflege der Alten und Gebrechlichen zum größten Problem der Bevölkerung auswachse.

Die weniger Gutverdienenden würden mit einer technisierten „Aldi-Vorsorge" Vorlieb nehmen müssen, während Besserverdienende sich individuelle Pflege von qualifiziertem Fachpersonal leisten könnten, skizzierte der Philosoph Prof. Richard David Precht ein düsteres Szenario, das er jedoch in der ihm eigenen launigen Art vortrug. Dabei betonte er sein Vertrauen in die PKV: "Ich bin selbst privat krankenversichert. Ich habe bisher nur gute Erfahrungen gemacht, ich habe nämlich nur eingezahlt." Jetzt sei man auf dem besten Weg in eine Zweiklassengesellschaft bei Pflegebedürftigkeit zu rutschen, wenn nicht ein Umdenken einsetze.

„Die Struktur der Pflege verändert sich", sagte Ulrich Dietz, der als Leiter des Referats Grundsatzfragen der Pflegeversicherung im Bundesgesundheitsministerium politische Aspekte zum Thema geltend machte. Die notwendige Pflege werde auch künftig vom Staat nicht ausreichend finanziert werden, vielmehr sinke der staatliche Beitrag noch. Noch würde größtenteils die notwendige Zuwendung für Pflegebedürftigen zu Hause von ihren Angehörigen geleistet. Das ändere sich jedoch gewaltig, zumal immer weniger Verwandte wegen ihrer eigenen Berufstätigkeit die Pflege ausreichend übernehmen könnten. Eine Anhebung der Kosten für die Pflegepflichtversicherung sei auf den Weg gebracht.

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Der Fernsehjournalist Michael Opoczynski (im Foto ganz rechts) moderierte - wie seit zehn Jahren - das PKV-Forum. Auf dem ersten Podium diskutierten (v.l.n.r.) Prof. Jürgen Wasem, Dr. Ralf Suhr, Richard David Precht, Ulrich Dietz und Helmut Posch (Foto: Continentale).

Bei einer strukturellen Veränderung müssten alle Pflegebedürftige - heute sind es 2,5 Millionen Bundesbürger - neu eingestuft werden müssen. „Wenn dann aber niemand schlechter gestellt werden soll, dann muss die Politik mehr Geld in die Hand nehmen", sagte Prof. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen. Die vorgesehene Erhöhung des Beitragssatzes um 0,2 Prozentpunkte reicht nach Einschätzung des Wissenschaftlers nicht aus.

„Private Pflegevorsorge - kann ich der Demographie ein Schnippchen schlagen?" fragte Prof. Bernd Raffelhüschen in die Runde. Sein Vortragsthema könne er leider auch nur mit einem klaren „Nein" beantworten, denn „wir haben ein Altersproblem." Vor vollem Haus im Kölner Gürzenich berichtete der Sozial- und Finanzwissenschaftler von der steigenden Lebenserwartung, die auch eine steigende Zahl der Pflegefälle in den hohen Altersstufen zur Folge habe. Raffelhüschens Angaben zufolge kostet die Pflege eines 90-Jährigen im Schnitt zwischen 6.000 und 7.000 Euro im Monat - sieben Mal mehr als die Pflege eines 70-Jährigen. Zwar würden Experten für das Jahr 2030 den Beitragssatz zur Pflegeversicherung auf 4,5 Prozent veranschlagen, das würde aber nach seiner Rechnung kaum ausreichen. Man müsse eher von 8 Prozent ausgehen, zumal auch nicht von gleichbleibende Kosten für die Pflegekräfte ausgegangen werden könne.

Verwundert müsse er feststellen, dass der soziodemografische Faktor gern übersehen werde. Raffelhüschen machte die Rechnung auf, dass derzeit 30 Prozent der Pflegefälle stationär versorgt und 70 Prozent von der Familie gepflegt werden. Heutzutage mit weniger Geburten und mehr Ehescheidungen sei die demografische Verschiebung nicht mehr aufzuhalten, und das Potenzial häuslicher Pflege schwinde rapide („Oder glauben Sie wirklich, dass Ihre Ex-Frau Sie pflegt?"

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Zweite Runde der Podiumsdiskussion (v.l.n.r.): J.-Matthias Graf von der Schulenburg, René Schneider, Bernd Raffelhüschen, Theo Langheid und Christoph Helmich (Foto: E. Bocquel)
Wie die privaten Krankenversicherer kritisierte Raffelhüschen, dass die gesetzliche Pflegeversicherung im Jahre 1989 als umlagefinanziertes System eingeführt worden war. „Die Politik hat einen Generationenvertrag aufgesetzt, obwohl sie wusste, dass die Generation, die ihn erfüllen soll, gar nicht da ist", betonte er. Die ärmeren Bevölkerungsschichten hätten nicht von der Einführung der Pflegeversicherung profitiert. Statistisch gesehen sei vor allem der Mittelstand entlastet worden.

Von dem von Gesundheitsminister Hermann Gröhe ins Spiel gebrachten Kapitalstock, in den 0,1 Prozent der insgesamt 0,3 prozentigen Erhöhung der Pflegepflichtbeiträge fließen sollen, hält Raffelhüschen gar nichts. Der Minister gehe davon aus, so 20 Milliarden Euro für die Pflege ansammeln zu können. „Das hilft uns gar nicht." Die Pflegekosten werden laut Raffelhüschen in den nächsten Jahrzehnten auf rund 1.200 Milliarden Euro anwachsen - die Hälfte des Bruttoinlandproduktes (BiP). „Es fehlen also mehr als 1.000 Milliarden Euro", machte der Wissenschaftler deutlich. Und es sei auch lächerlich Geld in einem Gesundheitsfonds anzusparen, das „wir jetzt schon brauchen". Das wäre so, als ob man einem Hund zwei Knochen hinwerfen würde und ihm sagte: „Einer ist für morgen."

CONTI_Raffelhüschen+DrKremerBernd Raffelhüschen (links) - hier am Rande des PKV-Forums im Gespräch mit Marcus Kremer, Vorstand der zum Continentale Verbund gehörenden Mannheimer Versicherung (www.mannheimer.de Foto: E. Bocquel) - kritisierte jedoch nicht nur, sondern präsentierte auch einen alternativen Vorschlag zur Entlastung des Systems. Er hinterfragte, weshalb die sogenannten Karenzzeiten aus der Mode gekommen seien. Eine gangbare Lösung könnte doch sein, wenn zunächst Eigenhilfe angesagt wäre. Raffelhüschen: „Das erste Jahre der Pflege sollte jeder selbst bezahlen - für mehr als 80 Prozent der Betroffenen ist das problemlos möglich." Nur die schweren und langwierigen Fälle sollten in die Obhut des Pflegesystems kommen. „Ich sage Ihnen, so wird das kommen!"

In der zweiten Podiumsdiskussionsrunde ging es dann mehr um die Produktseite der Pflegeversicherung. René Schneider, heute Vorstand der DV Deutsche Vorsorgedatenbank (www.deutschevorsorgedatenbank.de), hat selbst zwanzig Jahr Außendiensterfahrung in der Versicherungswirtschaft. Seiner Meinung nach sei nicht die Produktwelt der privaten Pflegeversicherung das Problem, sondern wie man sie den Kunden kommuniziere. Er habe schlagartig Verkaufserfolge verzeichnet, als er die - weg von der Pflegelücke für stationäre Pflege - das Gespräch auf die häusliche Pflege konzentriert habe. „Viele Vermittler schneiden das Thema ungern im Beratungsgespräch an", sagte Schneider. Als er den Bezug zur eigenen häuslichen Pflegesituation lenkte, seien seine Verkaufszahlen merklich in die Höhe gegangen.

 CONTI_Helmich+Opoczynski Christoph Helmich (Foto: E. Bocquel), Vorstandsmitglied der Continentale, machte auf ein weiteres Kommunikationsproblem aufmerksam: „Nur 3 Prozent der deutschen Bevölkerung verfügen tatsächlich über eine private Pflegezusatzversicherung, aber 20 Prozent denken, sie hätten eine und wären ausreichend abgesichert". Das müsste anders kommuniziert werden. Hier müssten auch die Vermittler in der Beratung ansetzen. Das Bewusstsein des Vertriebs müsse weiter geschärft werden, - waren sich alle Experten einig.

Auf die Experten-Meinungen folgten ausführliche Diskussionen im Plenum, im zahlreiche Vertriebspartner und Vermittler der Continentale vertreten waren. Sie wollen auch im nächsten Jahr zum PKV-Forum nach Köln kommen. Die Continentale hat den Termin bereits für den 8. September 2015 geblockt. (eb-db / www.bocquel-news.de

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