logo
logo

Konzepte und Kriterien

Demografie: Anleitung für lebenswertes "Wenigersein"

15. August 2013 - Als „mangelhaft" bezeichnet das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung die Art, wie sich die Politik mit dem demografischen Wandel befasst. Das gelte auch für ihre angebotenen Lösungsansätze. Das Thema würde zudem im Wahlkampf nicht stattfinden.

BERLIN-INSTITUT Diskussionspapier In dem Diskussionspapier "Anleitung zum Wenigersein" äußern sich Experten des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung (www.berlin-institut.org) zum Engagement der Politik in Sachen demografischer Wandel, das sie als „mangelhaft" bewerten. Das Thema finde auch im Wahlkampf nicht statt, bemängelte Instituts-Direktor Dr. Reiner Klingholz. Seine Lösungsansätze gelten vier Baustellen. Klingholz stellte das aktuelle Diskussionspapier Journalisten in Berlin vor, in dem als Kernhandlungsfelder die Sozialsysteme, die Arbeitskräftesicherung, die Familienpolitik und die Entwicklung sich leerender ländlicher Räume identifiziert werden.

Dr. Reiner Klingholz "Die Gesellschaft wird sich in historischem Ausmaß verändern", sagte Dr. Reiner Klingholz (Foto: Berlin-Institut). Jetzt komme die Zeit, wo weniger zu verteilen sei. Bei einer schrumpfenden Erwerbstätigenzahl dürfte sich das Wirtschaftswachstum im Durchschnitt auf Null abflachen; dies enge Verteilungsspielräume ein. "Wir können in Deutschland auch ein gutes Leben mit 50, 60 oder 70 Millionen Menschen führen." Bedeutsamer sei aber die Struktur der Bevölkerung.

Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung knüpfen
Der heute noch in weiten Teilen der Bevölkerung aber auch bei den Gewerkschaften und Politik umstrittene Weg in die Rente mit 67 ab dem Jahr 2029 hält Klingholz für nicht ausreichend. Er wirft der Bundesregierung vor, mit ihrer Demografiestrategie nicht über das Jahr 2030 hinausdenken zu wollen. Um langfristig die Rentenversicherung zu entlasten und zugleich das Arbeitskräftepotenzial zu erhöhen, schlägt Klingholz vor, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln.

BERLIN-INSTITUT DemostrategieDann würde es im Jahr 2050 die Rente mit 69 und 2060 die Rente mit 70 geben. Einen ähnlichen Vorschlag hatte auch schon die Deutsche Bundesbank (www.bundesbank.de) gemacht. Ohne ein Gegensteuern beim Renteneintrittsalter würde die Rentenbezugdauer immer weiter ansteigen, was jüngste Daten der Deutschen Rentenversicherung Bund (www.deutsche-rentenversicherung-bund.de) eindruckvoll belegen. Die durchschnittliche Länge des Rentenbezugs erreichte im vergangenen Jahr glatte 19 Jahre. Dabei bezogen Männer ihre Rente 16,7 Jahre und Frauen 21,3 Jahre. Nach den Daten stieg die Rentenbezugdauer von 1995 von durchschnittlich 15,8 Jahre bis 2012 um knapp 3,2 Jahre. Bei Frauen betrug der Zuwachs rund 3,1 Jahre und bei Männern ebenfalls rund 3,1 Jahre.

Bei der Alterssicherung und der Gesundheitsversorgung zeichne sich ein rasanter Kostenanstieg ab, erklärte Klingholz. Wurden im Jahr 2010 für die gesetzliche Rentenversicherung und Beamtenversorgung, der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie für Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung zusammen rund 500 Milliarden Euro ausgegeben, so würden diese Sozialkosten bis zum Jahr 2060 nach den Berechnungen des Instituts auf über 900 Milliarden Euro ansteigen.

Die eigene Zusatzversorgung soll zum Obligatorium werden
Nach Ansicht der Autoren des Diskussionspapiers sollte auch die private und betriebliche Altersvorsorge gestärkt werden, da sich künftige Generationen mit bescheideneren gesetzlichen Renten werden abfinden müssen. Die bestehenden staatlich geförderten Altersvorsorgemöglichkeiten würden unzureichend genutzt. "Deshalb sollte eine ergänzende Vorsorge zur gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtend werden." Die Rentengarantie - "ein Geschenk der Großen Koalition" - müsse wieder abgeschafft werden, forderte Klingholz. Halte man das Rentenniveau in Zeiten eines wirtschaftlichen Rückgangs konstant, gehe dies zu Lasten der jüngeren, arbeitenden Generation.

Selbstständige sollten in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Für gering verdienende Soloselbstständige bestehe heute kein Anreiz zur Eigenvorsorge, da der Rentenanspruch die Höhe der Grundsicherung nicht übersteigen dürfte. Deshalb bedürfe es einer Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. "Zusätzlich ist zu prüfen, ob der Kreis der gesetzlich Rentenversicherten auch auf Personen ausgeweitet werden kann, die neu ins Beamtenverhältnis eintreten", heißt es in dem Papier.

BERLIN-INSTITUT DemostrategieUm den durch das Geburtendefizit entstehenden Rückgang der Erwerbspersonen wenigstens abzumildern, sollten die Erwerbsquoten in Deutschland - insbesondere bei Frauen durch eine bessere Vereinbarung von Beruf und Kindererziehung oder Pflegeleistung - erhöht werden. Daneben seien Wanderungsgewinne absolut notwendig. Dabei könne es aber nicht in erster Linie um Anwerbung von Arbeitskräften aus den EU-Krisenländern Südeuropas gehen, sagte Klingholz. Zudem würde der Strom der Zuwanderer schnell versiegen, wenn dort die Konjunktur wieder anspringe. Deutschland müsse sich deshalb auch stärker für Facharbeiter aus Ländern außerhalb der EU öffnen. Hier gebe es erhebliche Defizite bei der Anwerbung vor Ort. Denn der Standort Deutschland sei trotz der Sprachbarriere weiterhin attraktiv.

Den Blick auf die bereits stattfindende demografische Veränderungen mache der jüngste Stadtentwicklungsbericht der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 17/14450) deutlich, heißt es. Danach haben alle deutschen Großstädte seit dem Jahr 2000 Bevölkerungsgewinne verzeichnet. Dagegen müssten außerhalb von Großstadtregionen in den letzten zehn Jahren bis auf wenige Ausnahmen alle Typen von Städten und Gemeinden Bevölkerungsverluste verkraften. Den Angaben zufolge lebt heute etwa drei Viertel der Bevölkerung in Großstadtregionen. (brs / www.bocquel-news.de)

zurück

Achtung Copyright: Die Inhalte von bocquel-news.de sind nach dem Urheberrecht für journalistische Texte geschützt. Die Artikel sind ausschließlich zur persönlichen Lektüre und Information bestimmt. Abdrucke und Weiterverwendung - beispielsweise zum kommerziellen Gebrauch auf einer anderen Homepage / Website oder Druckstücken - sind nur nach persönlicher Rücksprache mit der Redaktion (info@bocquel-news.de) gestattet.