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Konzepte und Kriterien

Grauenhafter Dialog um die Bewertungsreserven

29. April 2013 - Der Druck durch die Finanzkrise auf die deutschen Versicherer wird immer spürbarer. Jetzt haben die Aktuare und Versicherungsmathematiker während ihrer Jahresversammlung in Berlin die Problematik erneu aufgerollt und kritisch auf den Prüfstand gestellt.

DAV neuer Slogan Aktuare und Versicherungsmathematiker sind alarmiert, weil die Auswirkungen der Finanzkrise auch hierzulande immer mehr Probleme aufwerfen. Während der Jahresversammlung der DAV Deutsche Aktuarvereinigung (https://aktuar.de) - vergangene Woche in Berlin - wurden alle Probleme der Branche in Sachen Finanzkrise erneut aufgerollt. Gemäß ihres neuen Slogans „Wir rechnen mit der Zukunft" wollen die Versicherungsmathematiker mehr Druck machen, damit künftig bei den Rechnungsgrundlagen und Zukunftsprognosen die aktuelle Problematik bedacht und eingebunden wird.

In Berlin ging es beispielsweise wieder um die Renditen festverzinslicher Papiere, wie deutscher Bundesanleihen, die immer weiter sinken, was die deutschen Lebensversicherer vor immer größere Probleme stelle. Die deutschen Aktuare fordern eine Optimierung der Kapitalanlagen und ein konsequenteres Kostenmanagement, um die Probleme in den Griff zu bekommen.

Renditen unter Druck
Das aktuelle Kapitalmarktumfeld in Europa werde auch weiterhin stark durch die Finanzkrise bestimmt. Die Renditen von Staatsanleihen der Peripherieländer steigen an und erreichen ein Niveau, bei dem sich die Frage nach der Tragfähigkeit durch die öffentlichen Finanzen dieser Länder stellt. Dies führe im Ergebnis dazu, dass festverzinsliche Anlagen guter Bonität, wie deutsche Staatsanleihen, niedrige Renditen aufweisen, erklärten die Versicherungsmathematiker.

Beispielsweise habe die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen im Mittel der letzten fünf Jahre 3,1 Prozent betragen. Aktuell würden die Renditen aller europäischen Staatsanleihen auf historische Tiefststände zurückgehen. „Die 10-jährige Bundesanleihe rentiert nur noch um den Wert von 1,25 Prozent", hieß es bei der DAV-Versammlung. Die Renditen kürzer laufender Staatsanleihen der Bundesrepublik Deutschland seien teilweise sogar negativ.

KAPITALDRUCKDurchschnittliche Garantieverzinsung problematisch
Der Druck ist groß. Die durchschnittliche Garantieverzinsung in der deutschen Lebensversicherung beträgt DAV-Angaben zufolge derzeit 3,15 Prozent. Die laufende Verzinsung von rund 3,7 Prozent liege damit nur noch um 0,55 Prozent über den von den Unternehmen durchschnittlich ausgesprochenen Garantien. Hält diese Situation an, so wird es für die Unternehmen immer schwieriger, den Garantiezins zu erwirtschaften. Dieses Problem wird durch die Einführung der Zinszusatzreserve, die die Versicherer seit 2011 als Zusatzpuffer aufbauen müssen, manifestiert: Die Zinszusatzreserve nimmt einen Teil der zukünftigen Probleme bereits in den aktuellen Rechnungsabschlüssen vorweg.

Eine weitere Verschärfung der Situation könnte sich durch die Vorschriften für die Kapitalausstattung der Versicherer unter dem neuen gemeinsamen Aufsichtssystem Solvency II in Europa ergeben, die derzeit in Brüssel verhandelt werden ("Wann startet Solvency II - vielleicht erst 2017?").

Probleme für den Bestand
Die Probleme für den Bestand könnten die Unternehmen durch Optimierung der Kapitalanlage und konsequentes Kostenmanagement in den Griff bekommen, heißt es bei den Aktuaren. Zusätzliche Spielräume könnte der Gesetzgeber durch die Reform nur scheinbar verbraucherfreundlicher Regulierungen schaffen - zum Beispiel durch die Einführung einer Teilkollektivierung der freien RfB oder eine Anpassung der Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere. Diese ist aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Versicherungsnehmern ohnehin abzulehnen. „In der Niedrigzinsphase beschädigt sie die Risikotragfähigkeit", sagen die Versicherungsmathematiker.

Innovative Produkte mit starker Anpassung an die Kapitalmärkte
„Beim Neugeschäft der deutschen Lebensversicherer sind Innovationskraft und größere Flexibilität bei der Produktgestaltung notwendig, beispielsweise durch Abschnittsgarantien, die sich dem jeweiligen Zinsniveau am Markt anpassen", lautet ein Resümee der Aktuare. Neue Produkte mit geringeren Garantiekosten könnten sogar eine bessere Performance aufweisen als klassische Policen. Aber auch diese sollten weiterhin im Markt angeboten werden, um den Bedarf derjenigen Kunden, die sich ausdrücklich für eine lebenslange Garantie entscheiden, abdecken zu können. Dementsprechend erwartet die DAV einen breiteren Produktmix, bei dem jeder Kunde genau die Lösung finden sollte, die seinen individuellen Sicherheits- und Renditewünschen entspricht.

Dr. Johannes Lörper Die Deutsche Akutarvereinigung habe eine intensive Auseinandersetzung über die Auswirkungen der Niedrigzinsphase sowie die gerechte Verteilung explodierender Bewertungsreserven geführt. Das sei für viele Branchenteilnehmer völlig unverständlich verlaufen. Bei der Verteilungsgerechtigkeit seien Fehler aufgetaucht. Das habe vor allem an der mangelhaften Kommunikation gelegen. „Die Geschichte mit den Bewertungsreserven war aus Aktuar-Sicht grauenhaft", sagte dann auch der DAV-Vorstandsvorsitzender Dr. Johannes Lörper (Foto), der zum Ende der DAV-Versammlung turnusgemäß den Vorsitz abgab - an Rainer Fürhaupter (Mehr zu den DAV-Vorstandswahlen an anderer Stelle dieser Ausgabe). Transparenz und Verständlichkeit der Produkte sei unerlässlich. Aber man müsse dem Kunden nicht auch noch versuchen zu erklären, wie der Versicherer eine Garantie im Backoffice dargestellt, kritisierte Lörper. Die Diskussion während der Jahresversammlung wurde mit rund 1.000 anwesenden DAV-Vereinsmitglieder geführt.

Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP hatten im Bundestag eine Neuverteilung der Bewertungsreserven zulasten ausscheidender Versicherungsnehmer beschlossen, um die Risikotragfähigkeit der Lebensversicherer zu stärken. Nach Protesten von Versicherungskunden machte die CDU einen Rückzieher und der Bundesrat kassierte das Gesetz wieder ein.

Lörper hinterfragte Garantien in der Lebensversicherung und ob sie heute noch angebracht seien? „Wir müssen an andere Garantieformen denken." Da müsse allerdings auch die Politik mithelfen.

Deutsche Aktuarvereinigung
Die Deutsche Aktuarvereinigung e.V. ist die berufsständische Vertretung der Versicherungs- und Finanzmathematiker mit derzeit rund 3.800 Mitgliedern. Rund 1.800 meist jüngere Finanz- und Versicherungsmathematiker stehen nach entsprechendem Hochschulstudium und mindestens 3-jähriger Berufspraxis derzeit im geregelten Ausbildungsgang zum Aktuar.

Während der DAV-Mitgliederversammlung kam man zu folgendem Fazit: „Die anhaltende Niedrigzinsphase ist eine große Herausforderung, die nur im Zusammenwirken von Lebensversicherern, Gesetzgeber und Aufsicht zu bewältigen ist. Die Unternehmen sind bei ihrem Kapitalanlage- und Kostenmanagement gefordert, im Rahmen einer grundlegenden Renovierung der Lebensversicherung müssen die Garantien neuer Produkte stärker an die Gegebenheiten der Kapitalmärkte angepasst und damit flexibler gestaltet werden. Gesetzgeber und Aufsichtsamt sind aufgerufen, die für die Kapitalausstattung der Lebensversicherer zentralen gesetzlichen Regelungen zu überprüfen."

Die Aktuare würden mit ihrem Know-how für eine sachgerechte und transparente Umsetzung der Anforderungen und gesetzlichen Regelungen stehen, betonte das DAV-Präsidium. (eb / www.bocquel-news.de)

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