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Konzepte und Kriterien

Allianz will Provinzial für drei Milliarden kaufen

10. Dezember 2012 - Die Allianz will die Provinzial NordWest kaufen. Alle Beteiligten geben inzwischen zu, das der Branchenriese ein Kaufangebot über 2,25 Milliarden Euro an die Eigner der zweitgrößten Gruppe im Lager der öffentlichen Versicherer gemacht hat.

PROVINZIAL Münster „Allianz will Provinzial NordWest kaufen" titelte die FTD Financial Times Deutschland (www.ftd.de) schon am 30. November 2012. Und jetzt könnte das Realität werden, denn viele Branchenkenner müssen inzwischen zugeben, dass die zunächst als dreiste Mutmaßung abgetane Nachricht Wirklichkeit werden könnte. Zuletzt kam dazu eine laut FTD „dürre" Erklärung der Eigentümer, dass den Gremien ein Kaufangebot aus dem Versicherungslager vorliege. Wer diese „Eigentümer" sind, ist schnell gesagt. Gleich vier Eigentümer haben ein Mitspracherecht: Die Provinzial NordWest Versicherungsgruppe „gehört" zu je 40 Prozent dem Sparkassenverband aus Westfalen-Lippe Münster (www.svwl.eu) sowie dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (www.lwl.org). Der Sparkassen- und Giroverband für Schleswig-Holstein (www.sgvsh.de) hält weitere 18 Prozent und die restlichen zwei Prozent sind im Besitz der ostdeutschen Sparkassen (www.osv-online.de).

Ulrich Rüther Überregional mediale Aufmerksamkeit erlangte die Nachricht zum eventuell möglichen Deal mit außergewöhnlicher Dimension allerdings erst Mitte vergangener Woche durch einen Vorfall, von dem der Vorstandsvorsitzende der Provinzial NordWest, Ulrich Rüther (Foto), vor allem körperliche Blessuren davon trug. Als Rüther nämlich am vergangenen Mittwoch in der Tiefgarage des Versicherungsgebäudes in Münster aus dem Auto gestiegen war, um zu einer Betriebsversammlung zu eilen, griff ihn ein vermummter Unbekannter mit einem Schraubenzieher an und verletzte ihn. Das alles sei zum Glück verhältnismäßig glimpflich verlaufen, so dass Rüther schon am Nachmittag wieder das Krankenhaus verlassen konnte, heißt es in einer Unternehmens-Mitteilung. Dabei wollte der Provinzial-Chef in besagter Betriebsversammlung den durch Presseberichte verunsicherten Mitarbeitern erstmals Genaueres zum Kaufangebot der Allianz mitteilen.

Rolf Gerlach Brisant ist die gesamte Angelegenheit vor allem deshalb, weil Insider behaupten, dass der geplante Deal vor allem vom Präsidenten und Vorsitzenden des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe (SVWL), Rolf Gerlach (Foto rechts), forciert werde. Dem Vernehmen nach soll der „mächtige wie trickreiche Westfale" bereits vor Jahren die Verschmelzung der beiden öffentlichen Versicherer - westfälische Provinzial in Münster (www.provinzial.de) und rheinische Provinzial in Düsseldorf (www.provinzial.com) - mit Nachdruck und Verve angezettelt, aber dennoch vergeblich betrieben haben. „Wenn der Deal der Allianz zum Kauf der Provinzial klappt, sind als nächstes die Sparkassen dran", kommentiert ein Branchenkenner die Lage. Zum SVWL gehören 72 Mitglieds- Sparkassen in der Region.

In einen ähnlichen Verluststrudel geraten?
Offensichtlich stecke dem Sparkassenfürsten die Furcht in den Knochen, dass die Probleme der Lebensversicherer die Sparkassen in einen ähnlichen Verluststrudel ziehen könnten wie die Krise der Landesbanken, heißt es.

Der milliardenschwere Deal, der die Provinzial NordWest in die Arme der größten deutschen Versicherungsgruppe Allianz Deutschland AG (www.allianzdeutschland.de) treiben soll, löst bei den Mitarbeitern des öffentlichen Versicherers große Bestürzung aus. Nach Meinung der Gewerkschaft ver.di (www.verdi.de) stehen bis zu 6.000 Arbeitsplätze in Münster und Kiel auf dem Spiel. Aber vielleicht sei ja auch gar nichts dran - an diesen Gerüchten.

Im Verband der Öffentlichen
Die Unternehmen der Provinzial NordWest mit ihren Hauptverwaltungen in Münster und Kiel gehören dem Verband der öffentlichen Versicherer (www.voev.de) an, unter dessen Präsidium insgesamt elf Erstversicherergruppen aus ganz Deutschland mit diversen Gemeinschaftsunternehmen überregional organisiert sind. Die Eigentumsverhältnisse der elf Versicherungsgruppen in den unterschiedlichen Regionen Deutschlands sind nicht einheitlich geregelt. Der Verband der Öffentlichen kann im Falle der geplanten Kaufabsichten durch die Allianz wenig ausrichten. Das ist und bleibt Sache der Eigentümer der Provinzial NordWest.

Nach einer Aufsichtsratssitzung - vergangene Woche in Münster - wurde eine offizielle Erklärung abgegeben, die die Befürchtungen der Mitarbeiter und auch der Gewerkschaft leider eher noch verstärkte. Danach bestätigten die Eigner, dass es „Interesse aus dem Versicherungslager" an der Provinzial gebe. „Die Eigentümer wollen sehr zeitnah entscheiden, ob ein Verkauf überhaupt und wenn ja, zu welchen Bedingungen infrage kommt", hat dazu der SGV-Präsident Reinhard Boll stellvertretend für alle Anteilseigner gesagt. „Keine klare Absage, sondern eher ein Hinweis darauf, dass der Verkauf jetzt ernsthaft geprüft wird", berichteten dazu die Lübecker Nachrichten (www.ln-online.de). „Das soziale und gesellschaftspolitische Engagement darf nicht preisgegeben werden, um die Defizite der Allianz zu kompensieren", heißt es aus politischen Kreisen. Die schleswig-holsteinische Landesregierung in Kiel habe heftigen Widerstand gegen einen Verkauf der Provinzial angekündigt.

Mit der Übernahme verlorene Marktanteile im Heimatmarkt zurückerobern
Die inzwischen vom Markt verschwundene FTD hatte schon in ihrem ersten Bericht Ende November zu den Kaufabsichten der Allianz veröffentlicht, dass der Münchner Versicherungskonzern „mit einer Übernahme verlorene Marktanteile im Heimatmarkt zurückerobern und eine Bresche in das Sparkassenlager schlagen" könnte. Für die Allianz mache der Deal allerdings nur Sinn, wenn er weiterhin langfristige Vertriebsvereinbarungen mit den Sparkassen beinhalte. Für Michael Diekmann, Chef des weltweiten Allianz-Konzerns, stehe bei der Übernahme der Provinzial Nordwest viel auf dem Spiel, schreibt die FTD weiter. Das würde schon der konzerninterne Geheimcode für den Deal bezeugen: Er lautet nach FTD-Berichten "Rheingold", frei nach der Wagner-Oper aus dem Nibelungen-Zyklus des Jahrhundertkomponisten.

Im Wagnerschen „Rheingold" geht es um die drei Töchter des Vaters Rhein. Das sei ein Hinweis darauf, dass es bei dem Kauf-Projekt „Rheingold" auch nicht nur um die Provinzial NordWest gehe, sondern um die zwei weiteren öffentlichen Versicherer Provinzial Rheinland in Düsseldorf und die SV Sparkassenversicherung (www.sparkassenversicherung.de) mit Sitz in Stuttgart.

In weiteren FTD-Artikeln wird die Vermutung geäußert, dass „die Sparkassen (...) unter ihren Beteiligungen leiden und zumindest schwachbrüstige Institute wie die in Schleswig-Holstein einen Ausgleich gebrauchen könnten". So drohe den Geldinstituten auch in diesem Jahr eine Abschreibung auf die teuer erworbene Landesbank Berlin (www.lbb.de).

Es soll am Abschreibungsbedarf liegen
Der Hintergrund zu den Absichten von Sparkassen-Präsident Rolf Gerlach wird nach FTD-Informationen klarer, wenn man die Tatsache wisse, dass die Bank unter anderem eine neue Bewertungs-Empfehlung des Instituts der Wirtschaftsprüfer belasten würde. Dabei gehe es um eine Größenordnung von 500 Millionen Euro. Laut Insidern könnte diese Belastung zumindest teilweise durch positive Faktoren ausgeglichen werden, so dass der Abschreibungsbedarf niedriger ausfallen könnte. „Ob überhaupt wertberichtigt werden muss, werden die Wirtschaftsprüfer noch im Dezember ermitteln. Die Korrektur wird bei den betroffenen Sparkassen in diesem Jahr bilanzwirksam", heißt es in dem Zeitungsbericht weiter.

Wie weit die Details der nun nicht mehr geheimen Angelegenheit bekannt sind, zeigt auch ein unwidersprochener Bericht in den Medien, wonach Michael Diekmann bereits am 13. November nach Münster gereist war, um den wichtigsten Eignern der Provinzial sein Angebot zu überreichen: Rolf Gerlach, Präsident des Sparkassenverbandes Westfalen-Lippe, Reinhard Boll, der dem Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Holstein vorsteht, und Wolfgang Kirsch, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Weitere Treffen haben demnach auch am Allianz-Sitz in München stattgefunden. Allianz-Deutschland-Chef Markus Rieß sei ebenfalls bereits mehrfach in Münster gewesen.

Neues Kaufgebot liegt bei drei Milliarden Euro
Während zunächst von einem Kaufangebot über 2,25 Milliarden Euro gesprochen worden war, soll das neueste Gebot der Allianz bei mindestens drei Milliarden Euro liegen. Damit würde hierzulande eine bis dato einmalig hohe Summe für eine Übernahme einer deutschen Versicherungsgruppe ausgegeben. Zur Erinnerung sei hier erwähnt, dass die Talanx AG (www.talanx.com) im Jahr 2004 für einen Kauf des Gerling-Konzerns zwar vier Milliarden Euro geboten hatte, der Deal aber erst Ende des Jahres 2005 für circa 1,8 Milliarden Euro über die Bühne ging ("Talanx schluckt Gerling").

Noch scheinen aber weiter gehende Mutmaßungen in Sachen Provinzial-Verkauf noch eine Art Branchen-Geflüster zu sein. Im dem zuletzt erschienenen FTD-Artikel wird eine gewagte Prognose geäußert: Gelingt der Allianz der Deal in Münster, dürfte das noch nicht das Ende sein für ihre Übernahmelust. Auch die Provinzial Rheinland könnte passen - allerdings dürften die Münchener hierfür einen niedrigeren Preis bieten, weil die Lage des Unternehmens schwieriger ist. Bemerkenswert: Walter Tesarczyk, 59 Jahre alt und Vorstand der Allianz Versicherung, wechselt spätestens zum 1. April 2013 als Vorstands-Chef zur Provinzial Rheinland".

Einen ähnlichen Fall gab es schon einmal in der Branche: Vor Jahren war Frank Keuper - von der Axa kommend, Chef der DBV-Winterthur Gruppe geworden. Später zog er dann wieder als Chef der Axa Konzern AG (www.axa.de) nach Köln.

Alles nur Absichtserklärungen?
Alles, was zu den Allianz-Absichten, sich gleich drei öffentliche Versicherer einzuverleiben, geschrieben wird, bleibt bisher offiziell unbestätigt. Vielleicht kommt alles doch noch ganz anders. (eb / www.bocquel-news.de)

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