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Konzepte und Kriterien

Transformationspfade in der Versicherungsbranche

23. Juni 2016 - Bis zu 4 Milliarden Euro weniger Beitragseinnahmen in der Lebensversicherung, 100.000 Vermittler und Makler vor dem Aus: Das könnte der Assekuranz bis zum Jahr 2025 drohen. Die Strategieberatung Oliver Wyman hat Überlebensstrategien für einen schrumpfenden Markt ausgemacht.

Sie heißen Klaus Könner, Nicola Netz, Sven Slim und Henri Hipp. Sie sind Vorstandsvorsitzende von Versicherungsunternehmen und leben im Jahr 2025. Anhand dieser vier fiktiven Entscheider hat das Strategieberatungsunternehmen Oliver Wyman (www.oliver-wyman.com) in der Studie „Versicherung 2025“ Transformationspfade für die Versicherungswirtschaft dargestellt. Die vier Protagonisten stehen für vier unterschiedliche Strategien: mal klassisch generalistisch, mal hocheffizient und pfeilschnell.

Ausgangspunkt ist die Lage in der Branche. Von Wachstum sei nur in selektiven Feldern auszugehen, während das alte Stammgeschäft bröckele: So könnte das Beitragsvolumen in der Lebensversicherung je nach Politikvorgaben um vier Milliarden Euro sinken, in der Schaden- und Unfallversicherung herrscht nahezu Stagnation, so Oliver Wyman. Von 245.000 traditionellen Vermittlern und Maklern werden im Szenario der Studie rund 100.000 aus dem Markt ausscheiden. Chancen hingegen biete eine konsequente Digitalisierung: Sie ermögliche Versicherern, bis zum Jahr 2025 ihre Kostenquote um ein Viertel zu senken und zugleich besseren Service anzubieten. Wer heute sein Kern-Geschäftsmodell klar definiert, strategische Schwerpunkte setzt und eine agile Firmenkultur etabliert, ist auch gegen steigenden Wettbewerbs- und Kostendruck gewappnet, ist man bei Oliver Wyman überzeugt.

„Anhand der Fallbeispiele skizzieren wir vier Transformationspfade, die aus unserer Sicht als Gewinnerstrategien gelten dürfen“, sagt Markus Zimmermann, Partner bei Oliver Wyman und Leiter des Versicherungsbereichs Deutschland, Österreich und Schweiz. „Wandel ist in der Versicherungsindustrie bei jedem Unternehmen Programm. Es kommt jetzt darauf an, die strategische Stoßrichtung zu definieren und dann den Umbau konsequent voranzutreiben“, so Zimmermann. „Klar ist: Nur noch einige große Marktteilnehmer werden 2025 das komplette Spektrum an Produkten, Services und Vertriebskanälen bieten können.“

Von den vier charakteristischen Erfolgsunternehmen ist in Zukunft nur ein Typus ein wirklicher Allrounder: der Blue-Chip-Komfortpartner, heißt es in der Studie. Er agiere omnipräsent, markenstark und kooperiere dabei im Hintergrund auch mit „White Label“-Anbietern für Spezial- und Nischenprodukte. Dagegen stelle sich der vertriebsstarke Stammgeschäfts-Modernisierer so auf, dass er häufig in bestimmten Regionen oder Kernsegmenten verankert ist und damit nah, vertrauenswürdig und durchgängig kundenorientiert agiert. "Einige Versicherer behaupten sich auch als leistungsstarke Risiko- oder Produktspezialisten, wobei sie je nach Ausprägung ihrer Risikoexpertise und Spezialisierung als innovative Qualitätsanbieter oder plattformorientierte Produktfabriken auftreten können", sagt Markus Zimmermann (Foto: Oliver Wyman). Der agile Preis- und Kostenführer punkte mit einem Konzept, das besonders zu Online- und Direktversicherern passt: einfach, günstig und schnell – dank maximaler Digitalisierung sowie hoch agiler analytischer Fähigkeiten.

Drei große Herausforderungen
So unterschiedlich die strategische Ausrichtung auch sein mag: Alle Marktteilnehmer stehen gemeinsam vor drei großen Herausforderungen, attestiert die Studie. Sie müssten eine stets kundenzentrierte Unternehmenskultur schaffen, die Agilität ihrer Organisation stärken und über neue Anreize und Denkmuster ihr Talentmanagement neu ausrichten. „Nötig ist ein Denken und Arbeiten über Bereichsgrenzen hinweg mit offener Feedback-Kultur. Erst wenn dies gelingt, entstehen neue Geschäftsmodellbausteine und eine wahrnehmbare Kundenorientierung“, sagt Zimmermann.

Mehr Service für die Kunden
Gute Nachrichten haben die Strategieberater von Oliver Wyman für die Kunden: Sie würden auch dank Digitalisierung ganz neue Interaktionsmöglichkeiten, flexiblere Produkte sowie mehr Service und Transparenz erwarten. „Auf der für den Kunden erlebbaren Schaden- und Serviceseite werden Versicherer in zahlreiche neue Leistungsfelder und Mehrwertdienste investieren, die sie auch mithilfe externer Partner erbringen. Versicherung 2025 ist geprägt von ‚erlebter Sicherheit‘ und einfacher Kommunikation entlang aller Kanäle“, sagt Rouget Pletziger, Principal im Bereich Versicherungen bei Oliver Wyman. Dabei besetze nicht mehr jedes Versicherungsunternehmen die Kundenschnittstellen selbst. Mancher Anbieter wird zum reinen Risikoträger im Hintergrund – also bewusst ohne strategische Kontrolle der Kunden- und Vertriebsschnittstelle.

Entscheidende Veränderungen im Vertrieb
Für den Vertrieb erwartet Zimmermann einschneidende Veränderungen: „Alte Fürstentümer innerhalb von Versicherungsunternehmen bröckeln – und Kunden gehören zukünftig in der Regel dem Unternehmen, und nicht einem Vertriebsweg oder Vermittler.“ Dominieren würden sogenannte Omnikanalmodelle, wobei die Bedeutung von digitalen Medien, Aggregatoren sowie unabhängigen Drittvertrieben wachse. In traditionellen Vermittlerorganisationen müsse ein nahtloses Zusammenspiel zwischen Mensch und Online-Unterstützungsinstrumenten erfolgen.

Den klassischen Versicherungsvermittlern und -beratern stehen laut Oliver Wyman schwere Zeiten bevor: Verändertes Kundenverhalten und verschärfte regulatorische Vorgaben zur Vertriebsvergütung sorgten dafür, dass von den rund 245.000 traditionellen Vermittlern und Maklern im Jahr 2014 bis 2025 rund 100.000 aus dem Markt ausscheiden. Für viele sei das eine wirtschaftliche Notwendigkeit, denn das erzielbare Provisionsvolumen im Markt sinke ebenfalls drastisch um 40 bis 50 Prozent. 

Kosten müssen weiter sinken
Das Kostenmanagement in der Versicherungswirtschaft behalte überragende Bedeutung - siehe nebenstehende Grafik - zum Vergrößern bitte anklicken. „Die Branche wird ihre mittlere Kosten-Quote ohne Provisionen im Schnitt um 20 bis 25 Prozent senken können und müssen“, prognostiziert Pletziger. Besonders hohe Effizienzgewinne seien bei den Abschlussgemeinkosten sowie bei hoch automatisierbaren internen Betriebs-, Schaden- und Servicefunktionen realisierbar. In der IT hingegen bleiben die künftigen Effizienzgewinne im Branchenschnitt bis 2025 noch ohne Wirkung, da im Gegenzug erhebliche Investitionen in Digitalisierungs- und Data Management-Themen nötig seien.

Die verschärfte Regulierung und niedrige Zinsen ließen das Risiko- und Kapitalmanagement stärker in den Mittelpunkt rücken. Versicherer werden diesen Bereich enger in strategische Planungen und Investitionsentscheidungen einbinden. In der Produktentwicklung werden zudem viele Unternehmen aufgrund der Solvency-II-Vorgaben bis 2025 deutlich schärfere interne Transparenzanforderungen festgelegt haben.

Unsicherheiten auf schwächelndem Markt
Wie sich der Gesamtmarkt bis 2025 entwickeln wird, hängt auch vom politischen Rahmen ab, prognostiziert die Studie. Dies gelte insbesondere für die Lebensversicherung. Das Beitragsvolumen könnte bei einer gesetzlich verordneten Stärkung der betrieblichen Altersversorgung von rund 94 Milliarden Euro im Jahr 2014 bis 2025 auf 98 Milliarden Euro steigen. Blieben Vorgaben der Politik aus, droht laut Analyse ein Absinken auf 90 Milliarden Euro. Die Niedrigzinsen belasten weiterhin das Ergebnis und die Attraktivität der privaten Altersvorsorgeprodukte.

In der Schaden- und Unfallversicherung erwarten die Experten von Oliver Wyman nahezu Stagnation. Von 2014 bis 2025 werde das Prämienvolumen um nur sieben Prozent von rund 63 auf 67 Milliarden Euro zulegen. Während die Kraftfahrtsparte deutlich schrumpft, erhöhen sich die Beitragseinnahmen in der gewerblichen Sach- und Haftpflichtversicherung. Neue Wachstumschancen und Innovationsimpulse bestehen insbesondere in den Feldern „Neue Mobilität“, „Internet der Dinge“ und im „Mid-Corp“-Firmensegment.

Entwarnung gibt Zimmermann für ein bereits diskutiertes Szenario, wonach „Online-Riesen“ als unmittelbare Wettbewerber auf den Plan treten könnten. Dazu werde es nicht kommen: „Wir erwarten nicht, dass Internetkonzerne wie Google oder Amazon selbst als Risikoträger in das direkte Versicherungsgeschäft einsteigen werden. Gleichwohl kommen sie – neben einer Vielzahl neuer Plattformpartner – dank ihres Kundenzugangs und ihrer Kundenkenntnis als wichtige und verhandlungsstarke Kooperationspartner für die Versicherungsindustrie in Frage“, so der Oliver- Wyman-Experte. Zusätzlichen Wettbewerbsdruck und verstärkte Innovationskraft würden darüber hinaus zahlreichte Insurtech-Unternehmen in den Markt bringen. Dies betreffe neue Formen der Kundeninteraktionen ebenso wie die Prozesse „hinter dem Vorhang“.

Innovation als Dauerzustand
Versicherer müssen dauerhafte Innovation als Teil ihrer eigenen DNA begreifen, raten die Experten. Häufig brauche es dafür zu Beginn spezifische Innovations- und Digitalisierungsteams, die jedoch sukzessive wieder Teil der Organisation werden müssen. Daneben wird es neue Formen der Kooperation mit jungen innovativen Unternehmen geben, um vielversprechende Geschäftsmodelle unabhängig von eigenen Prozessen und Systemen zu testen. „Nur wer frühzeitig und mutig Neues ausprobiert, wird sich auch 2025 erfolgreich im deutschen Versicherungsmarkt positionieren können“, so Zimmermann.  (hp / www.bocquel-news.de)

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