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Konzepte und Kriterien

Pflegeversicherung: Demografische Zeitbombe

4. Mai 2023 - Nicht nur die Altersvorsorge muss sich in den nächsten Jahren dem demografischen Problem stellen. Auch die Pflegeversicherung sieht sich durch die zunehmende Alterung der Gesellschaft mit einem Finanzierungsproblem konfrontiert. Im Jahr 2021 gab es etwa 5 Millionen Pflegebedürftige hierzulande – Tendenz steigend.

Die Pflegeversicherung war heute, Donnerstag, Thema im digitalen Pressegespräch der DAV Deutschen Aktuarvereinigung e. V. (www.aktuar.de), der unabhängigen berufsständischen Vertretung der als Aktuarinnen und Aktuare in Deutschland tätigen Versicherungs-, Vorsorge-, Bauspar- und Finanzmathematikerinnen und -mathematiker.

„Insbesondere bei der gesetzlichen Pflegeversicherung stehen wir mit dem demografischen Problem erst am Anfang“, erläuterte der ehemalige DAV-Präsident Dr. Herbert Schneidemann die aktuelle Situation. Allein durch die Alterung der Gesellschaft ist in den kommenden 50 Jahren mit einer starken Zunahme pflegebedürftiger Personen zu rechnen. 2021 gab es etwa 5 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland. Schon bis 2055 sei mit einem Anstieg pflegebedürftiger Menschen um 37 Prozent zu rechnen. „Realistische Prognosen gehen bis 2070 von 7,7 Millionen Pflegebedürftigen aus“, so Schneidemann.

Dr. Herbert Schneidemann - im Alltagsgeschäft Vorstandsvorsitzende der Bayerischen - machte klar: „Die umlagefinanzierte soziale Pflegeversicherung ist bereits jetzt immer häufiger und immer eklatanter im defizitären Bereich. Es ist absehbar, dass dieser Umstand noch zunimmt und perspektivisch zu Lasten der Leistungen der Pflegeversicherten oder der Beitragszahler gehen wird.“

Die Pflegereform mit der Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade 2017 verschärfte das Problem. Durch eine Erhöhung der Beitragssätze 2019 von 2,55 auf 3,05 Prozent konnte kurzfristig die Finanzierungslage verbessert werden. Aber die geplante Pflegereform zum 1. Juli dieses Jahres werde die Finanzierungsprobleme dauerhaft erhöhen.

Schneidemann machte klar, dass das Modell der umlagefinanzierten sozialen Pflegeversicherung in einer alternden Gesellschaft daher gegen das Prinzip der Nachhaltigkeit auf Kosten der nachfolgenden Generationen verstoße. Er setzte sich daher für die Einführung einer kapitalgedeckten privaten Pflegeversicherung ein – mit dem Ziel zu mehr Nachhaltigkeit in der Finanzierung. Das könne in Form eines Obligatoriums geschehen, wie aktuell diskutiert, oder über freiwillige, steuerlich geförderte Pflegezusatzversicherungen zum Beispiel zur Absicherung künftiger Dynamisierungen.

Von stillen Reserven zu stillen Lasten
Der Umgang mit dem veränderten Zinsumfeld und dessen Folgen für die Lebensversicherer und die Schaden-/Unfallversicherung war Thema des Vortrags des DAV-Vorsitzenden Dr. Maximilian Happacher. Insgesamt habe die neue Zinssituation zu veränderten Voraussetzungen für die Versicherungswirtschaft geführt. Während Schadenversicherer wegen kürzerer Laufzeiten der Versicherungsverpflichtungen relativ früh von den gestiegenen Zinsen profitierten, sehe das bei den Lebensversicherern anders aus.

2021 hatten die Lebensversicherer rund 150 Milliarden Euro an stillen Reserven in ihren Büchern stehen. Durch die Zinssteigerungen wurden die festverzinslichen Wertpapiere in der HGB-Bilanz der Versicherer zu stillen Lasten. Diese betrugen Ende 2022 laut Assekurata bereits etwa 100 Milliarden Euro. Stille Reserven beziehungsweise stille Lasten kommen aufgrund der Differenz zwischen dem Marktwert und dem Buchwert einer Bilanzposition zustande. Diese stillen Lasten seien aber grundsätzlich kein Problem für die Unternehmen, da die Lasten sich durch das Halten der Papiere bis zur Endfälligkeit auflösen werden. Nur bei einem Liquiditätsbedarf, der erheblich höher als erwartet wäre, würden sie vor Fälligkeit freigesetzt werden müssen. „Das sehen wir derzeit in der Lebensversicherung aber in der Breite nicht als gegeben“, betonte Happacher. Die Storno-Quoten verharrten über die letzten Jahre sehr stabil auf einem niedrigen Level. Sie bewegte sich in der vergangenen fünf Jahren stabil zwischen 2,55 und 2,68 Prozent. Auch beim Blick auf die Solvenz-Quote der Lebensversicherer zeichne sich ein sehr positives Bild ab.

Im Übrigen sei eine marktweite und signifikante Erhöhung der Überschussbeteiligung durch das Abschmelzen der Zinszusatzreserve (ZZR) kurzfristig noch nicht zu erwarten, so der DAV-Vorsitzende. Während 2021 noch ein sinkender Referenzzins und eine damit verbundene Zuführung von zehn Milliarden Euro zur ZZR zu verzeichnen waren, sank die ZZR 2022 dank stagnierendem Referenzzins im Jahr 2022 um rund vier Milliarden Euro auf insgesamt 92 Milliarden Euro. „Wir gehen angesichts der derzeitigen Entwicklung davon aus, dass der Referenzzins auch dieses Jahr stabil bleibt. Unter diesen Umständen ist 2023 ein vergleichbarer Rückgang der ZZR wie im Vorjahr, also von rund vier bis fünf Milliarden Euro, erwartbar“, so Happacher.

Dringender Handlungsbedarf der Politik
„Sowohl bei der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge als auch bei der betrieblichen Altersversorgung sehen wir aus aktuarieller Perspektive dringenden Handlungsbedarf“, erklärte Susanna Adelhardt, die neue stellvertretende Vorsitzende des DAV. Sie warf dazu einen Blick auf die Riester-Rente, deren Verträge und Fördersummen seit einigen Jahren rückläufig sind. Es brauche aber definitiv eine Anpassung der politischen Rahmenbedingungen, um sie weiterzuentwickeln, so Adelhardt. Das könnten neben einer einfacheren Förderung und einem Abbau bürokratischer Hürden auch eine Erhöhung der Ertragsaussichten bedeuten, um sie attraktiver zu machen. Abgesenkte Garantien würden das bewirken. Denn hierdurch wären auch mehr Investitionen in etwas risikoreichere, aber eben auch ertragreichere Sachwerte wie zum Beispiel Aktien möglich.

Auch die betriebliche Altersversorgung (bAV) müsse generationengerecht umgestaltet werden. Adelhardt wörtlich: „Es hapert schon am Thema Generationengerechtigkeit. Arbeitgeber haben nur einen bestimmten Dotierungsrahmen und damit ein begrenztes Budget für die Versorgung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Verfügung. Dieser wird bereits für die aktuelle Rentnergeneration in großen Teilen aufgewendet.“ Da man diesen Dotierungsrahmen nicht willkürlich verändern könne, sei es wichtig, sich Gedanken zu machen, wie dem Problem der geringeren Versorgung jüngerer Generationen mit unterschiedlichen Eingriffen begegnet werden könne.

Ein Beispiel könnte unter anderem sein, Veränderungen am Aufsichtsrecht vorzunehmen. Dieses schreibt derzeit vor, dass Pensionskassen ständige Bedeckung auch während der Ansparphase gewährleisten müssen, obgleich eine vorzeitige Auszahlung nur die absolute Ausnahme darstelle. Es sei doch entscheidend, so die DAV-Frau, dass die Mittel zum Fälligkeitszeitpunkt zur Verfügung stehen und nicht in allen Jahren und Jahrzehnten davor. So führten die aktuellen Aufsichtspflichten zur dauernden Erfüllbarkeit bei vorübergehend negativer Kapitalmarktentwicklungen zu Umschichtungen in risikoarme Anlagen – zu Lasten des Ertrags und damit zu Lasten der späteren Rente. Sie forderte daher andere Vorschriften, mit denen sich der Faktor Zeit als Risikopuffer genutzt werde, um die Rentenaussichten der aktuellen Arbeit-nehmer*innen zu verbessern. (Autor Bernd Rudolf / www.bocquel-news.de)

 

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