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Konzepte und Kriterien

Halten die Versicherer die starke Komplexität aus?

25. Februar 2016 - An der „Komplexität“ haben die Versicherer hierzulande schwer zu tragen: zu große Produktvielfalt, zu viele Besonderheiten der Vertriebskanäle und zu viel Regulatorik von gesetzlicher Seite. Laut einer Studie wird nur der überleben, der kundenorientiert den optimalen Komplexitätsgrad von Geschäfts- und Betriebsmodell in den Griff bekommt.

Zu große Produktportfolios, zu viele Besonderheiten in der Vertriebswegestruktur sowie ständige Neuerungen regulatorischer Verordnungen, ein verändertes Kundenverhalten und nicht zuletzt der intensive Verdrängungswettbewerb – das alles zusammengenommen sei der Stoff, der die Versicherer blockiere. Der deutlich gestiegene Komplexitätsgrad in den Unternehmen stehe anderen großen Herausforderungen der Assekuranz im Wege, zu denen immer höhere Kundenorientierungsmaßnahmen sowie der Zeitdruck bei der Entwicklung von Versicherungsprodukten gehöre. Auch beim Ausbau der Services sowie gleichzeitig einer immer höheren Effizienz in deren Produktion werde man immer schwerer gerecht.

Prof. Dr. Fred Wagner (Foto: links V.E.R.S. Leipzig) vom Institut für Versicherungslehre der Universität Leipzig (www.vers-leipzig.de) hat eine Erklärung dafür: „Fast 70 Prozent der infrage kommenden Unternehmen habe in der Vergangenheit Fusionen oder M&A durchgeführt, und ein Großteil arbeitet noch immer mit unterschiedlichen IT-Systemen und Produktportfolien." Prof. Wagner wirkte an der jüngsten Studie der Managementberatung zeb (www.zeb.de) mit, die das Komplexitätsmanagement deutscher Versicherer näher untersuchte. Die Ergebnisse liegen jetzt vor. Dr. Matthias Uebing (Foto: rechts zeb), Partner von zeb und Co-Autor der Studie sagt: "Uns überrascht, dass viele deutsche Versicherer ein professionelles Komplexitätsmanagement nicht wirklich als Handlungsfeld definiert haben.“

Der Druck auf die Versicherungsunternehmen steigt. Wie Prof. Wagner und Dr. Uebing zu verstehen geben, stufen rund 70 Prozent der für die Studie befragten Unternehmen den aktuellen unternehmensindividuellen Komplexitätsgrad als zu hoch ein, und knapp 80 Prozent der Unternehmen benötigen deshalb zusätzliche Ressourcen und Spezialisten.

„Tatsächlich werden aus unserer Sicht nur jene Unternehmen erfolgreich sein, denen es gelingt, kundenorientiert den optimalen Komplexitätsgrad von Geschäfts- und Betriebsmodell zu identifizieren und dessen Umsetzung entlang der Geschäftsprozesse zu gewährleisten. Dafür wird es nicht reichen, weiterhin nur die Symptome zu kurieren. Die Ursachen von Komplexität müssen ganzheitlich gesehen und gezielt adressiert werden“, sagt Dr. Matthias Uebing.

Der Komplexitätsstudie liegt eine repräsentative Vor-Ort-Befragung von Entscheidungsträgern zugrunde, die 70 Prozent des deutschen Erstversicherungsmarktes abdecken.

Produktvielfalt verursacht signifikant höhere Kosten
Als wesentliche „Störfaktoren“ führt laut 97 Prozent der befragten Unternehmen die Produktvielfalt zu Mehraufwänden. Teilweise betrachten sie die sehr hohe Vielfalt im Produktportfolio als wesentlichen Komplexitätstreiber. Zum einen ist dies nach Ansicht der Experten sicherlich auf die Langlebigkeit der Produkte zurückzuführen. Zum anderen liege dies auch an der Tatsache, dass der im Markt vorherrschende Verdrängungswettbewerb immer neue Differenzierungsmerkmale in den Produktportfolien erfordert, die in Teilen für den Endkunden gar nicht mehr nachvollziehbar sind. In den Innendiensten der Versicherungsunternehmen würden aber genau solche Produktportfolien teilweise signifikante Mehraufwände in den Personal- und IT-Kosten verursachen.

Kundenverhalten verlangt übergreifendes Kanalmanagement
Ein weiterer wesentlicher Komplexitätstreiber ist den Angaben zufolge die zunehmend komplexe Zugangs- und Vertriebswegestruktur. Bestrebungen der Versicherer, den Anforderungen der immer kanalhybrideren Kunden gerecht zu werden, haben hier zu deutlich mehr Komplexität im multikanalen Vertriebswegemix geführt. Alle befragten Unternehmen gaben an, dass das Komplexitätsniveau aufgrund der Vertriebswegestruktur hoch oder sehr hoch ist.

Allerdings halten über die Hälfte der befragten Versicherer dies für angemessen, da es immanenter Bestandteil des Geschäftsmodells sei und somit erlösfördernd wirken könne. Um diese in Kauf genommene Komplexität in den Griff zu bekommen, planen 86 Prozent aller befragten Versicherer, ihren Automatisierungsgrad zu erhöhen, aber nur 32 Prozent planen eine Optimierung der eigentlichen Vertriebswegestruktur.

Regulatorik als wesentlicher Treiber
Neben Produktportfolio und Vertriebskanal-Struktur bleibt die ausufernde Regulierung ein wesentlicher Treiber der Komplexität in der Assekuranz. So beurteilte jedes der befragten Versicherungsunternehmen die Relevanz von gesetzlichen Normen und Regelwerken für den Komplexitätsgrad in der Assekuranz als hoch bis sehr hoch. Insbesondere der durch Solvency II verursachte Komplexitätsgrad wird von 52 Prozent der Befragten als zu hoch eingeschätzt. Kein einziges Unternehmen plant jedoch aktuell, gezielt regulatorisch bedingte Komplexität im eigenen Unternehmen zu optimieren.

Drei Viertel der Versicherer haben laut Komplexitätsstudie (Abbildung – zum Vergrößern bitte anklicken) die Notwendigkeit des Komplexitätsmanagements bereits erkannt und entsprechende interne Projekte angestoßen. Insgesamt 96 Prozent sehen jedoch weiteren Handlungsbedarf für die Zukunft. Insbesondere der Umgang mit der herrschenden Produktvielfalt als auch eine konsequentere Industrialisierung werden als wichtige Ansätze bewertet, um die Komplexität im eigenen Unternehmen zu beherrschen.

Konsequenz bei Komplexitätsoptimierung fehlt
In Summe fühlen sich aber nur 28 Prozent der befragten Versicherer tendenziell gut auf das zu erwartende Komplexitätsniveau vorbereitet. Aus Sicht von zeb und V.E.R.S. ein Indiz, dass das Problembewusstsein bei den Versicherern zwar vorhanden ist, die notwendige Konsequenz in der Umsetzung komplexitätsoptimierender Projekte jedoch bisher fehlt.

„Wir sind zuversichtlich, dass die Assekuranz die Herausforderungen erkennt“
"Die Versicherungsbranche in Deutschland hat aktuell mit deutlichem Gegenwind zu kämpfen. Will sie sich gegen neue Marktteilnehmer wie FinTechs behaupten und nicht vollends im Strudel der ausufernden Regulatorik versinken, muss sie sich jetzt intensiv mit dem Thema Komplexitätsmanagement befassen“, sagt Philip Franck, Senior Manager von zeb und ebenfalls Co-Autor der Studie. Die deutsche Bankbranche habe gezeigt, wie dieses im Einzelfall erfolgreich gelingt und wo die Reise hingehen kann. „Wir sind zuversichtlich, dass die Assekuranz die Herausforderungen erkennt und erfolgreich meistert“, so Philip Franck.

Abbau der systemischen Herausforderungen
Ein Abbau der systemischen Herausforderung Komplexität erfordert nach Ansicht von zeb eine grundlegende Änderung von Unternehmenskultur, Mindset und Governance. "Das gesamte Management der Versicherer ist gefragt und ein dauerhaftes Committment von CEO und Gesamtvorstand zwingend erforderlich", betont Dr. Uebing. "Eine besondere Rolle kommt dabei dem COO als Treiber der operativen Umsetzung zu. Ziel muss es sein, den Kunden in den Fokus zu nehmen und ihn mit individuell passenden Produkt- und Serviceangeboten versorgen zu können. Gleichzeitig müssen Entwicklung und Produktion des Leistungsangebots flexibel, schnell und effizient möglich werden."

Theoretische Kompetenz in die Praxis einfließen lassen
Der Anstoß zur Komplexitätsstudie kam aus Leipzig. Als Spin-off des Instituts für Versicherungslehre an der Universität Leipzig entwickelt die V.E.R.S. Leipzig GmbH aktuelle Themenbereiche der Finanzdienstleistungsbranche gemeinsam mit der Praxis weiter und fördert so den Austausch zwischen Theorie und Praxis. Die Geschäftsführung, Projektleitung und das Team der V.E.R.S. Leipzig GmbH setzen sich überwiegend aus Doktoranden und Studierenden der Universität Leipzig zusammen. (-el / www.bocquel-news.de)

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