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Konzepte und Kriterien

Big Data bedroht die Risikogemeinschaften

23. März 2015 - Die ungehemmte Datenerhebung spielt den Versicherern Fakten in die Hände, mit denen sie Produkte und Tarife ganz neu gestalten können. Was die Assekuranz lockt, ist Verbraucherschützern ein Dorn im Auge und sollte Versicherte zur Vorsicht mahnen.

Auf Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft (www.dvfvw.de)  in Berlin ging es unter anderem um das Thema „Fragmentierung der Kollektive“. Hintergrund ist die Tatsache, dass die Versicherer durch immer neue, umfangreichere und individuellere Daten in die Lage versetzt werden, Risiken in immer kleineren Gruppen zusammenzufassen. Die Prämien werden immer individueller, der bisherige Ausgleich der Risiken in großen Gruppen entfällt, „gute“ Risiken zahlen weniger Beitrag als „schlechte Risiken“.

Klaus Müller (Foto: vzbv), Vorsitzender des Verbraucherzentrale Bundesverbands (www.vzbv.de) hat die deutschen Versicherer aufgerufen, die Möglichkeiten von Big Data für die Produktgestaltung verantwortlich zu nutzen. Der Solidaritätsgedanke sei das ureigenste Prinzip der Versicherung, bekräftigte Müller. Der vzbv-Chef warnte vor einem Auseinanderbrechen der Versichertengemeinschaft. Wenn beispielsweise einige Verbraucher für ihre Fitnessaktivitäten oder gutes Fahrverhalten mit niedrigen Prämien belohnt würden, „dann gibt es auf der anderen Seite auch Verlierer.“

Möglichkeiten und Grenzen der Fragmentierung
Guido Bader (Foto: Stuttgarter), Vorstandsmitglied bei der Stuttgarter Lebensversicherung (www.stuttgarter.de), habe argumentiert, dass sich die Aufsplitterung in immer kleinere Versichertenkollektive nicht mehr stoppen lasse, heißt es in einem vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (www.gdv.de) veröffentlichen Bericht über die Fachtagung.  „Wir haben einen Trend zur Fragmentierung, der nicht aufhaltbar und nicht reversibel ist“, sagte Bader. Der Versuch, sich dagegen zu stemmen, sei vergleichbar mit den Bemühungen der Kutschenbauer, das Automobil zu verhindern. „Unsere gemeinsame Aufgabe muss sein, diese Fragmentierung in sinnvolle Bahnen zu lenken, aber sie lässt sich nicht aufhalten“, sagte Bader.

Befördert werde die Entwicklung laut Bader durch die gestiegene Transparenz und die größere Vergleichbarkeit der Produkte. Dies zwinge die Unternehmen zu einer stärkeren Ausdifferenzierung. „Sonst werden sie gnadenlos antiselektiert“, so Bader. Antiselektion bedeute, dass sich gerade Personen mit einem spezifisch hohen Risiko versichern, während Menschen mit geringen Risiken sich nicht mehr versichern, da der einheitliche Preis ihnen zu hoch erscheint.

Allerdings habe Bader auch auf die Grenzen der Fragmentierung hingewiesen, so die GDV-Mitteilung. Eine immer stärkere Fragmentierung führe zu immer höheren technischen Kosten. Irgendwann komme der Versicherer an wirtschaftliche Grenzen. Was aber heute in der Implementierung zu teuer sei, könne morgen vielleicht schon möglich sein. „Wenn sie aber so stark fragmentieren, dass sich ein Großteil den Versicherungsschutz nicht mehr leisten kann, dann lohnt es sich für Versicherer auch nicht mehr“, sagte Bader.

Die Büchse der Pandora
Die Diskussion illustrierte, das die Assekuranz hin- und hergerissen ist zwischen den Verlockungen von Big Data und der Angst vor den Folgen. GDV-Präsident Alexander Erdland (Foto: GDV) hatte unlängst auf der Jahrespressekonferenz des GDV auf die Chancen und Risiken der digitalen Revolution und die Möglichkeit der immer präziseren Bestimmung individueller Risiken hingewiesen. Er warnte in diesem Zusammenhang vor einem Glaubensstreit. „Tatsache ist, wir sind nicht Treiber dieser Entwicklung. Wenn wir aber nicht die Getriebenen werden wollen, müssen wir die Veränderung mitgestalten“, mahnte Erdland.

Da stellt der GDV-Chef allerdings das Licht der Assuranz zu sehr unter den Scheffel. Denn sie mischt schon kräftig mit bei Big Data. In Deutschland sammeln erste Kfz-Versicherer die Daten über das Fahrverhalten ihrer Versicherten, die Generali in Italien und die Axa in Frankreich erproben Bonussysteme, wenn Versicherte ihre Gesundheitsdaten per App an den Versicherer übermitteln. Die Büchse der Pandora ist schon auf, zumindest ein wenig.  

Mit den Daten Sinnvolles tun
In einem ebenfalls vom GDV veröffentlichten Interview rät Viktor Mayer-Schönberger (Foto: GDV), Jurist und seit 2010 Professor für Internet Governance and Regulation am Oxford Internet Institute, den Versicherern, Big Data zur Analyse von Umweltrisiken zu nutzen.Die treibende Kraft von Big Data ist es, die Wirklichkeit zu erkennen – und zwar in ihrem Detailreichtum und ihrer Multidimensionalität. Big-Data-Analysen könnten also die Versicherungsbranche dabei unterstützen, Großrisiken wie Nuklear- oder Gentechnik oder Umweltrisiken wie Sturm, Hagel oder Überschwemmungen besser zu verstehen – und damit auch der Gesellschaft helfen, Risiken zu vermeiden.“ Auf deutsch: Die Versicherer sollten mit der Datenflut etwas für die Menschheit Sinnvolles anstellen, statt sie zur für Beitragsoptimierungsspiele zu nutzen (hp / www.bocquel-news.de)

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